In der ökonomischen Ideologie des Westens schienen sich lange Zeit zwei Lager gegenüber zu stehen: das neoliberale oder marktradikale der USA und das keynesianische oder sozialstaatliche bzw. industriepolitische Europas, auch „rheinischer Kapitalismus“ genannt. Die Marktideologen setzten auf Angebotspolitik (Kostensenkung um jeden Preis, nicht zuletzt bei den Löhnen), die Staatsideologen auf Nachfragepolitik (Steigerung des Konsums durch Ausgaben der öffentlichen Hand und Lohnerhöhungen). Vor gut 30 Jahren galt das europäische Modell als erledigt, weil der gesteigerte Staatskonsum die Inflation entfesselte und das Wachstum trotzdem stagnierte (Stagflation). Der Zusammenbruch des Staatssozialismus schien diese Einschätzung zu bestätigen. So trat das ultraliberale US-Konzept seinen globalen Siegeszug an und die Europäer wurden gelehrige Schüler, nicht zuletzt die Sozialdemokraten unter Schröder und Blair.
Der „Erfolg“ der neoliberalen Revolution bestand bekanntlich in der Kreation beispielloser Finanzblasen, die für mehr als ein Jahrzehnt globale Defizitkonjunkturen befeuerten. Als der Finanzkrach 2008 diese Ära beendete, war der Katzenjammer groß. Die europäischen Regierungen, allen voran die deutsche große Koalition, gefielen sich frecherweise in Schuldzuschreibungen an die USA und die neoliberale Doktrin, als hätten sie diese Politik nicht selber durchgepaukt. Zeitweise schien es so, als gäbe es nun beiderseits des Atlantik mit staatlichen Rettungspaketen und Konjunkturprogrammen eine Kehrtwende zum europäischen Modell. Aber schnell zeigten sich die Grenzen der Staatsfinanzierung in Form von Schuldenkrisen. Der alte Zwist kocht jetzt wieder hoch, aber mit vertauschten Rollen: Zumindest vordergründig setzen die USA und ihre ökonomische Elite eher auf staatliche Stimulation, Europa unter Führung von Merkel eher auf brutale Sparprogramme.
Aber in Wahrheit gibt es kein eindeutiges Wirtschaftsmodell mehr, sondern beide Seiten versuchen sich durchzumogeln. Hüben wie drüben jagt einerseits ein Sparprogramm für den Staatshaushalt das nächste. Andererseits betreiben in den USA wie in Europa die Notenbanken eine Politik der Geldschwemme. Die Staaten sollen sparen, die Unternehmen sollen investieren. Aber die mit billigem Geld gefütterten Banken geben kaum Kredite, sondern bunkern dieses Geld wieder bei den Notenbanken. Umgekehrt fragen die Unternehmen Kredite für Großinvestitionen gar nicht nach, sondern betreiben die alte Politik der radikalen Kostensenkung weiter. Nichts geht mehr ohne Staatskonsum, der trotzdem gleichzeitig heruntergefahren werden muss. Zwar kaufen die Notenbanken schon Staatsanleihen, aber nicht für reale Nachfrage, sondern nur um den Wertverfall dieser Papiere aufzuhalten und die darauf sitzenden Banken zu retten.
Die Mogelpolitik führt zurück zu einer verschärften Version der Stagflation, aber dabei wird es nicht bleiben. Momentan scheinen die USA den inflationären Weg und Merkel-Europa den rezessiven Weg des finanziellen Notstandsterrors zu favorisieren. Sollte ein Präsident Romney die Kehrtwende vollziehen, müsste er sein angeblich ur-amerikanisches Konzept von den als „sozialistisch“ geschmähten Europäern übernehmen; das Gleiche gilt umgekehrt für die EU bei einem Einschwenken auf die Obama-Politik. Gehen wird beides nicht. Wer das Finanzsystem retten will, muss die Nachfrage verhungern lassen; wer die Nachfrage retten will, muss das Finanzsystem ruinieren. Die absurd widersprüchliche Mischung der beiden Wirtschaftsmodelle als Resultat ihres toten Rennens zeigt, dass die gemeinsamen kapitalistischen Grundlagen bröckeln.
erschienen im Neuen Deutschland
am 6.2.2012
am 6.2.2012
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