Globalisierungkritik und die Krise der Arbeitsgesellschaft, Okt. 2005, Unrast Verlag
In den 1980er Jahren hatte sich angesichts der sich abzeichnenden »Krise der Arbeit« der Begriff »Arbeitsgesellschaft« als eine andere Bezeichnung für die moderne kapitalistische Gesellschaft eingebürgert. Er trifft den Nagel den Kopf. Dieser Terminus bringt das Wesen der Gesellschaft, in der wir leben, sogar weit präziser auf den Punkt, als es seine Urheber geahnt haben. Die moderne Warengesellschaft ist nicht nur die Arbeitsgesellschaft par excellence in der Geschichte, weil sie der Produktion einen höheren Stellenwert einräumt als alle anderen Gesellschaften. Streng kategorial genommen, ist der Begriff »Arbeitsgesellschaft« prinzipiell sogar für sie zu reservieren. Die moderne Warengesellschaft ist die einzige Arbeitsgesellschaft, die es je gegeben hat und die es je geben wird.
Arbeit als Einfalt und Selbstzweck
Natürlich kommt keine menschliche Gesellschaft umhin, der Natur das abzugewinnen, was sie zur Befriedigung ihrer (elementaren) Bedürfnisse benötigt. Die banale Tatsache, dass Menschen in einen aktiven Naturbezug treten müssen, macht aber noch lange nicht jede Gesellschaft zur Arbeitsgesellschaft. Um sich für diesen Titel zu qualifizieren, bedarf es schon einer viel spezifischeren und weitergehenden ›Leistung‹, die nur der Kapitalismus und sein realsozialistischer Stiefbruder zuwege brachten. Die Arbeitsgesellschaft unterliegt dem merkwürdigen Zwang, die breite Palette der unterschiedlichsten produktiven Bezüge des Menschen auf die Natur in ein und dieselbe Tätigkeitsform namens »Arbeit« zu pressen. In allen Gesellschaften haben Menschen geschneidert, Nahrungspflanzen angebaut und sich um Behausungen gekümmert, aber nur die moderne Warengesellschaft bringt es fertig, dies alles auf ein und dasselbe zu reduzieren, auf den streng durchökonomisierten Einsatz von Muskel, Nerv und Hirn. Erst diese praktische Gleichsetzung zu austauschbarer menschlicher Energieverausgabung überhaupt macht aus den vielen sinnlich-stofflich unterschiedlichen Tätigkeiten konkurrierende Darstellungsformen der Abstraktion »Arbeit«. Damit aber nicht genug. Gleichzeitig erhebt die moderne Warengesellschaft diese seltsame, von ihrem konkret-stofflichen Inhalt abgelöste Tätigkeitsform schlechthin zum strukturellen Selbstzweck. Für das Funktionieren der kapitalistischen Gesellschaft ist es keineswegs entscheidend, ob sie mit dem geschaffenen stofflichen Reichtum die vorhandenen Bedürfnisse erfüllen kann. Ihr Wohlergehen hängt vielmehr davon ab, inwieweit die Güterproduktion auf dem jeweiligen Produktivitätsniveau hinlänglich Gelegenheit zur betriebswirtschaftlich organisierten Verwandlung menschlicher Energie in »tote Arbeit« bietet. Im warengesellschaftlichen Bezugssystem werden Menschen nicht der Bedürfnisbefriedigung wegen tätig. Daseinsberechtigung hat der stoffliche Reichtum überhaupt nur als Träger verausgabter Arbeit, als Träger von Wert.
Angesichts dieser seltsamen Verkehrung bekommt der gesellschaftliche Reichtum nicht nur einen absurden Inhalt, der nicht in entwickelten sozialen Beziehungen und einem hohen Niveau der Bedürfnisbefriedigung besteht, sondern sich in Geld bemisst. Auch nach seinem eigenen Kriterium unterliegt der arbeits- und warengesellschaftliche Reichtum einer absonderlichen Entwicklung. Denn wenn die Produktivkraftentwicklung die Arbeit zunehmend überflüssig macht, dann wird die Warengesellschaft damit nicht reicher, sondern droht vielmehr zu verarmen. Ihr steht nämlich weniger (durch Arbeitskraftverausgabung gedecktes) Geld zur Verfügung.1
Die patriarchale Arbeitsreligion
Der Marxismus hing der Idee an, die kapitalistische Form der Reichtumsproduktion würde aus ihrem Selbstlauf heraus diese Gesellschaft an die Schwelle zur Emanzipation führen. Indem das Kapital die Industrie zur Grundlage der Reichtumsproduktion macht, so das marxistische Credo, schaffe es die materiellen und sozialen Voraussetzungen einer von allem Mangel befreiten Gesellschaft und rufe gleichzeitig die zur Umsetzung des sozialistischen Ziels auserwählte gesellschaftliche Kraft auf den Plan, das Proletariat.
Mit seinem Gottvertrauen in den Selbstlauf der kapitalistischen Entwicklung stand der Marxismus alles andere als allein auf weiter Flur. Das ausgehende 19. und beginnende 20. Jahrhundert war insgesamt ein Zeitalter des ungebremsten Fortschrittsoptimismus, das sich von der Weiterentwicklung der Ratio und vom Siegeszug der modernen Technik den Himmel auf Erden erhoffte. Während aber die ›bürgerliche‹ Konkurrenz primär auf die Leistung der Naturwissenschaft bei der Naturbeherrschung setzte, inthronisierte der Marxismus als demokratische Variante der Fortschrittsreligion die Arbeit als den eigentlichen Garanten einer lichten Zukunft. Das Kapital, so marxistisches Credo, vertrete bloße Sonderinteressen. Die Arbeit sei dagegen der wahre Träger des Triumphes der Menschen über die Natur, an der jeder Mann durch sein produktives Schaffen Anteil habe. Die durchrationalisierte, auf ihren funktionalen Kern reduzierte kapitalistische Tätigkeitsform wurde als Inbegriff menschlichen Tuns schlechthin gefeiert und stieg auf diese Weise zugleich zum Unterpfand des Erfolgs der sozialistischen Sache auf. Der Sieg der Emanzipation schien in den Augen des Marxismus unaufhaltsam, weil er glaubte, mit der Macht der Arbeit die massenwirksam und praktisch gewordene »reine Vernunft« gegen die bornierten kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisse in Stellung bringen zu können.2
Die Annahme, Industriearbeit und kapitalistische Herrschaft müssten sich letztinstanzlich als unvereinbar erweisen, war theoretisch von vornherein auf Sand gebaut. Es dauerte allerdings viele Jahrzehnte bis nach langen wechselvollen Kämpfen sich diese Erwartung auch praktisch, an der realen Entwicklung blamiert hatte. Umso eindeutiger fiel dann aber das Ergebnis aus: Der Kampf für das Recht der (Industrie)Arbeit und ihres gesellschaftlichen Trägers, der Arbeiterklasse3, mündete keineswegs in die von Marx erwartete Rebellion gegen alle Verhältnisse, in denen der Mensch als ein »geknechtetes Wesen« leben muss. Der Vormarsch des Fabrikregimes und die Erfolge der Arbeiterbewegung verhalfen mit der Figur des weißen, männlichen Normalarbeiters stattdessen einer hochgradig (selbst)repressiven und zerstörerischen Existenzweise zur gesellschaftlichen Vorherrschaft.
Die Arbeiterklasse – eine Klasse von Arbeitskraftbesitzern – untergräbt keineswegs die Fundamente der Herrschaft des Menschen über den Menschen, wie der Marxismus dachte, sondern vielmehr die ökologischen Grundlagen und leistet ihren Beitrag zur Neufundierung patriarchaler Herrschaft. Die durchrationalisierte Arbeit folgt genauso einer patriarchal-männlichen Logik4 wie die gegenüber allem Sinnlichen gleichgültige Vernunft, die sich in ihr verkörpert.5
Vom proletarischen Arbeitsethos zum Arbeitsstolz der Reproduktionsarbeiterin
Die Linke trug dieser ernüchternden Wendung insofern Rechnung, als sie den Glauben an die Arbeiterklasse als Träger der Emanzipation spätestens am Ende der 1970er Jahre im Allgemeinen ad acta legte. Eine Schlüsselrolle spielte dabei neben der ökologischen Frage die feministische Kritik. Die Frauenbewegung insistierte völlig zu Recht darauf, dass die Hymne auf die industrielle Arbeit auf der Abwertung der im häuslichen Bereich geleisteten Tätigkeiten beruht.
Der Arbeiterbewegungsmarxismus kam zwar aus der Mode, die urmarxistische Vorstellung, die Emanzipation habe an der Eigenlogik der kapitalistischen Produktiventwicklung einen mächtigen Verbündeten, überlebte indes den »Abschied vom Proletariat« (André Gorz). Wenn nicht der Siegeszug der industriellen Arbeit den Weg zur Emanzipation frei mache, dann eben ihr Rückzug. Er setze »die Befreiung von falscher Arbeit« (Thomas Schmitt) auf die historische Tagesordnung, so die in der Diskussion um die »Krise der Arbeit« zu Beginn der 1980er Jahre vorherrschende Lehrmeinung. Eine Gesellschaft, in der der Primat der Erwerbsarbeit mangels Masse allmählich verblasst, wird andere, weniger repressive Vorstellungen von Tätigsein entwickeln als die für den Industriekapitalismus charakteristischen. Wenn das auf die Leitfigur des weißen männlichen Arbeitskraftverkäufers ausgerichtete fordistische Normalarbeitsverhältnis zum Auslaufmodell wird, dann rückt insbesondere die ›vergessene‹, der patriarchalen Arbeitsordnung entsprechend fast ausschließlich von Frauen geleistete Reproduktionsarbeit aus dem gesellschaftlichen Schatten. An den spezifischen Qualitäten weiblicher Arbeit orientierte und daher sozial und ökologisch verträglichere Formen des Tätigseins seien also dazu berufen, an die Stelle der Industriearbeit zu treten.
Repressive Feminisierung
Ein Vierteljahrhundert später erscheinen solche Erwartungen in einem seltsamen Licht. Aus der Prognose einer »Krise der Arbeit« ist eine Diagnose geworden. Anstatt den Stellenwert der Erwerbsarbeit zu relativieren, hat diese Entwicklung deren Bedeutung aber nur auf die Spitze getrieben. Noch nie war die Arbeitsgesellschaft so sehr und ausschließlich Arbeitsgesellschaft wie angesichts ihrer Krise. Keine Stellenbeschreibung, in der »weiche«, bis dato immer als »weiblich« klassifizierte Qualifikationen (Team- und Kommunikationsfähigkeit, Flexibilität) mittlerweile nicht ganz oben rangieren würden. Die Arbeitswelt ist mit dieser Art von ›Feminisierung‹ aber keineswegs humaner geworden, sondern nur härter und totalitärer. Es reicht nicht mehr aus, acht Stunden am Tag zuverlässig die zugeteilten Aufgaben zu erledigen. Der ›ganze Mensch‹ ist jetzt im Konkurrenzkampf gefordert, und das im Prinzip rund um die Uhr. Das Normalarbeitsverhältnis ist in der Zwischenzeit tatsächlich auf breiter Front aufgebrochen. Früher randständige, typisch weibliche Beschäftigungsformen vermehren sich explosionsartig und ersetzen sozialversicherungspflichtige Arbeit. Das ermöglicht aber keineswegs eine reichere und auf die Bedürfnisse der Arbeitenden besser abgestimmte Lebensgestaltung, sondern bedeutet gewaltige Verarmungsschübe, von denen wiederum in erster Linie Frauen betroffen sind.
Den hoch fliegenden postindustriellen Emanzipationserwartungen der Linken in den 1980er Jahren erging es also noch übler als den industriellen Befreiungsträumen des Marxismus. Nicht zuletzt aufgrund der Kämpfe der traditionellen Arbeiterbewegung war die Verallgemeinerung des Fabrikregimes immerhin mit der Durchsetzung verbesserter Knechtschaftsbedingungen auf dem Boden kapitalistischer Herrschaft einhergegangen. Die Auflösung des klassischen Fabrikregimes führte dagegen zu einer nachhaltigen Verschlechterung der Reproduktionsbedingungen und zu tief greifenden Desolidarisierungsprozessen.
Dieses Desaster ist kein Grund, die Kritik am Normalarbeitsverhältnis und seinem patriarchalen Charakter zurückzunehmen, um die fordistischen Verhältnisse im Nachhinein nostalgisch zu verklären. Es wäre allerdings genauso verfehlt, die Emanzipationsvorstellungen der 1980er Jahre einfach fortzuschreiben und das Platzen der damaligen Träume als einen – bloß widrigen politischen Kräfteverhältnissen geschuldeten – Unglücksfall abzutun. Eine radikale Kritik der Arbeitsgesellschaft ist dringender denn je geboten, aber sie braucht ein tragfähigeres theoretisches Fundament.
Enttäuschte Hoffnungen
Warum platzten die von der 1980er-Linken in die »Krise der Arbeit« gesetzten Hoffnungen? Aus dem gleichen Grund, weshalb sich vorher die mit dem Siegeszug des Fabrikregimes verknüpften emanzipatorischen Erwartungen in Luft aufgelöst hatten. Trotz ihrer Kritik am produktivistischen Wahn und an der herrschenden Arbeitsversessenheit wandelte die Debatte um die Krise der Arbeitsgesellschaft auf der kategorialen Ebene – ohne es überhaupt zu bemerken – in den Fußstapfen des Arbeiterbewegungsmarxismus. Auch diepostmarxistische Linke verwechselte die Arbeit mit der menschlichen Naturbeziehung überhaupt und blendete ihren Charakter als spezifisch kapitalistische Tätigkeitsform aus. Ihre ökologische Kritik an der kapitalistischen Produktionsweise etwa blieb auf die Frage der Technik als solcher beschränkt und verkannte das dahinter stehende Problem der gesellschaftlichen Tätigkeitsform.
Diese analytische Fehlleistung ist direkt für das damalige Gottvertrauen in den emanzipativen Charakter der »Krise der Arbeit« verantwortlich. Das springt unmittelbar ins Auge, wenn wir einen Blick darauf werfen, wie die These vom absehbaren Bedeutungsverlust der Arbeit im Kapitalismus begründet wurde. Die Argumentation lässt sich im Wesentlichen auf einen einzigen Satz reduzieren: Die Rationalisierungsprozesse im Gefolge der mikroelektronischen Revolution machten die Arbeit für die stoffliche Güterproduktion zunehmend überflüssig, ergo sei die Arbeit drauf und dran, ihre gesellschaftliche Notwendigkeit zu verlieren.
Die Ausgangsbeobachtung einer unaufhaltsamen Verdrängung der lebendigen Arbeit aus der Produktion war natürlich völlig richtig und als Prognose aus heutiger Sicht auch ausgesprochen hellsichtig. Die stets als selbstverständlich unterschobene Schlussfolgerung, die Arbeit werde damit automatisch an Bedeutung einbüßen, macht dagegen überhaupt nur Sinn, wenn man sie zu einer rein stofflichen Naturbeziehung verklärt und so tut, als ginge es bei der kapitalistischen Produktion um die Schaffung stofflichen Reichtums und nicht um die Selbstzweckbewegung von Arbeitsverwertung, also die Verwandlung von Geld in mehr Geld über den Umweg der Produktion. Einem kritischen Blick hält diese Interpretation nicht stand. Solange der gesellschaftliche Zusammenhang auf Warenreichtum basiert, macht die massenhafte Verdrängung lebendiger Arbeit aus dem Produktionsprozess die Arbeit für das Funktionieren der Gesellschaft keineswegs überflüssig. Vielmehr gerät die auf Arbeit und Geld beruhende Gesellschaft damit in einen heillosen Selbstwiderspruch – mit verheerenden Folgen. Das Kapital hat den Drang, alle gesellschaftlichen Beziehungen in Kauf- und Verkaufsbeziehungen aufzulösen. Es ist aber gleichzeitig im Gefolge der mikroelektronischen Revolution der Produktivkraft drauf und dran, ausgerechnet die einzige Ware auf breiter Front zu eliminieren, durch deren Verkauf die breiten Massen als Teil des Warenbesitzer/innen-Universums agieren können, nämlich die Ware Arbeitskraft.
Ein emanzipatorischer Ausweg aus der durch die Verdrängung der Basisware der warengesellschaftlichen Ordnung entstandenen fundamentalen Krise öffnet sich nur, wenn diese Gesellschaft die Logik von Verwertung, Ware und Geld bewusst außer Kraft setzt, um neue Formen direkter Vergesellschaftung der Reichtumsproduktion zu entwickeln. Die Debatte um die Krise der Arbeitsgesellschaft konnte vor einem Vierteljahrhundert leicht optimistisch sein, weil sie von der herrschenden Verwertungslogik, die es in Frage zu stellen und abzuschaffen gilt, ganz einfach abstrahiert hat. Die notwendige Neubestimmung des gesellschaftlichen Reichtums lässt sich aber nicht durchsetzen, indem das emanzipative Lager die abstrakt-unsinnliche Logik von Ware und Geld ignoriert; eine Gesellschaft, die sich an sinnlich-stofflichen Kriterien statt am Geld orientiert und Reichtum als Beziehungsreichtum zur Natur und zum Mitmenschen begreift, muss erst einmal gegen den strukturellen Imperialismus von Geld, Ware und abstrakter Arbeit erkämpft werden.
Arbeit adelt?
Als Maß aller Dinge und imperiales Prinzip strahlt die kapitalistische Tätigkeitsform über ihren eigentlichen Gültigkeitsbereich hinaus auf andere Bereiche aus. Diese Ausstrahlungskraft lässt sich unter anderem an unseren Sprechgewohnheiten ablesen. Wer die Dignität einer nicht direkt der Wertverwertung untergeordneten Tätigkeit betonen will, erhebt sie ehrenhalber in den Arbeitsstand und macht sie damit dem nach warengesellschaftlichen Kriterien einzig relevanten Tun analog. Wer sich um den Haushalt kümmert, dem Nachbarn beim Streichen der Fenster hilft oder einen kritischen Gedanken zu Papier zu bringen sucht, verrichtet demnach ebenfalls »Arbeit«. Das Wort existiert im Alltag also in doppelter Bedeutung. Eng gefasst, steht es für die streng ökonomisierte, auf die Verausgabung von Muskel, Herz, Hirn reduzierte Tätigkeit, mit der Menschen ihr Geld verdienen. In einem übertragenen Sinn bezeichnet die Vokabel aber jedes ernsthafte Tun. Diese Doppelverwendung beseitigt natürlich nicht die grundlegende Differenz zwischen der Arbeit als direkter Teilhabe an der ökonomischen Sphäre und Tätigkeitsbereichen, die sich nicht als betriebswirtschaftlich oder staatlich organisierte Arbeitskraftverausgabung darstellen oder darstellen lassen. Auf dieser sprachlichen Unschärfe hat die Linke der 1980er Jahre ihr gesamtes Theoriegebäude errichtet, das diesen strukturellen, auf dem Boden der Warengesellschaft also unaufhebbaren Unterschied wegretuschiert.
»Die Krise der Arbeitsgesellschaft« war in der Debatte der 1980er Jahre eine Art von stehender Redewendung. Der Begriff wurde allerdings selten ohne – implizite oder explizite – Relativierung gebraucht: streng genommen sei keineswegs die Arbeit schlechthin in der Krise, sondern lediglich die »Erwerbsarbeit« – so die entsprechende Standardformel.
Diese Relativierung wurde damit begründet, dass eine vollautomatisierte Welt, in der Menschen nur als passive Anhängsel selbsttätiger Apparate existieren, nicht nur eine alptraumhafte, sondern zugleich eine unrealistische Vorstellung sei. So viel ist an diesem Argument natürlich richtig: Die Befriedigung der gesamten Palette menschlicher Bedürfnisse bleibt auch dann an menschliche Anstrengungen gebunden, wenn in der unmittelbaren Güterproduktion Maschinen weitgehend den Menschen ersetzen. Indem die Debatte der 1980er Jahre diese Tätigkeiten mit größter Selbstverständlichkeit mit der kapitalistischen Tätigkeitsform »Arbeit« auf eine Stufe stellte, verschwand aber der kapitalistische Selbstwiderspruch, Arbeitskraft betriebswirtschaftlichen vernutzen zu müssen und gleichzeitig die Arbeitskraft zu eliminieren. Der notwendige Bruch mit der gesellschaftlichen Zwangsform Arbeit schrumpfte auf eine bloße Umdefinition des Arbeitsbegriffs: Die Warengesellschaft soll Arbeit nicht mehr in ihrem eigentlichen, engen Sinn verstehen, sondern ihrer weiter gefassten, metaphorischen Bedeutung Geltung verschaffen.
Die Differenzierung von »Arbeit« und »Erwerbsarbeit« verhilft indes keineswegs der Vielfalt unbezahlter Tätigkeitenzu ihrem Recht. Indem diese Gegenüberstellung für alle direkt oder indirekt an der Schaffung des gesellschaftlichen Reichtums beteiligten Tätigkeiten den Arbeitsstatus einklagt, schreibt sie nur fest, was ihr entsprechend für alle Zeit das Vorbild menschlichen Handelns zu sein hätte, die kapitalistische Tätigkeitsform nämlich.
Abschaffung des Sonnenstaats – Auflösung des Schattenreichs
Im Zentrum der Neudefinition der Arbeit stand die weibliche Reproduktionstätigkeit. Das Fabrikregime hatte nur einen Bruchteil der für die gesellschaftliche Reproduktion unerlässlichen Tätigkeiten als Arbeit anerkannt und bei seiner gesellschaftlichen Kostenrechnung mit der weiblichen Reproduktionstätigkeit mindestens die Hälfte des für die Gesellschaft unerlässlichen Tätigkeitsvolumens unterschlagen. Das müsse sich ändern. Die familiäre Kinderbetreuung, ja das gesamte Spektrum hausfraulicher Tätigkeit sei offiziell als gleichberechtigter Bestandteil ins Arbeitsuniversum zu integrieren, so die eine Forderung; und die Zuschreibung »weicher«, angeblich »weiblicher« Qualitäten an die Frauen sei ebenso zu dekonstruieren wie die entsprechende Arbeitsteilung, so die andere.
Auf der Grundlage eines apologetischen unscharfen Arbeitsbegriffs ist dieses Ansinnen konsequent. Die Aufgabe der Emanzipation stellt es aber auf den Kopf. Denn dass die Arbeitsgesellschaft auf ein Reich von unbezahlten Schattentätigkeiten angewiesen bleibt, sagt alles über den beschränkten und parasitären Charakter der Arbeit als kapitalistischer Tätigkeitsform. Und dass dieses Schattenreich nur als Korrelat des Sonnenstaats der strukturell »männlichen« Arbeitsvernunft sein Dasein fristet, sagt alles über das patriarchale Wesen der Arbeit selbst. Die Existenz der Hausarbeit ist also vielmehr ein Grund, den Universalismus der Arbeit als falschen Universalismus zu entlarven. Wer stattdessen den falschen Universalismus über eine Neudefinition des Arbeitsbegriffs in einen richtigen überführen will, verliert sich in einer Donquichotterie.
Durchdränge die Arbeitsform alle Tätigkeiten gleichermaßen, würden Menschen immer und überall nur gegen Geld tätig, wäre alles Tun gleichermaßen nach dem Vorbild der kapitalistischen Tätigkeitsform durchökonomisiert und durchrationalisiert – wie das die Übernahme der Arbeitsvorstellung nun einmal nahe legt –, so würde jede Gesellschaft sofort kollabieren. Dass selbst die monetär am besten gestellten Staaten sich an einer auch nur halbwegs adäquaten Bezahlung der bisher unbezahlten Tätigkeiten ihrer Bürgerinnen überheben würden, ist dabei noch das geringere Problem. Schwerer wiegt etwas anderes: Die Verwandlung sozialer Beziehungen in Arbeitsbeziehungen stellt unweigerlich gerade das in Frage, was deren besondere Qualität ausmacht. Ob eine Küche des Geldes wegen oder aus anderen Motiven geputzt wurde, ist ihr natürlich nicht anzusehen; sobald Menschen ins Spiel kommen, sieht das aber anders aus. Das Verhältnis zu ihnen lässt sich nicht ohne desaströse Folgen auf die abstrakte Verausgabung von Muskel, Nerv und Hirn reduzieren und in ein ebenso abstraktes Zeitregime pressen. Wo diese Tätigkeiten der Arbeitsform tatsächlich unterworfen sind, funktionieren solche Bereiche in der Regel nur, weil und soweit die Beschäftigten ein der Arbeitslogik eigentlich fremdes emphatisches Element in die Arbeitswelt einschleppen. Die betriebswirtschaftliche Logik verlässt sich paradoxerweise darauf, dass die – nicht zufällig in der Regel weiblichen – Arbeitenden sie auf eigene Kosten nur gebrochen an ihre lebenden Arbeitsgegenstände weitergeben.
Bei der Diskriminierung der »Hausarbeit« und beim doppelbödigen Charakter sozialer Arbeit handelt es sich um ein Strukturmerkmal der Arbeitsgesellschaft. Weder eine Neufassung des Arbeitsbegriffs noch politische Nachkorrekturen werden die Unterordnung des »Anderen der Arbeit« in einem emanzipativen Sinn überwinden können. Nicht mit der Erweiterung des Arbeitsbegriffs, sondern allein im Rahmen einer radikalen Kritik des Zwangsprinzips Arbeit hört das Schattenreich der Reproduktionstätigkeit auf, bloßes Schattenreich zu sein, und erst mit der Entthronung der patriarchalen Arbeitsvernunft endet die Zwangszuweisung dieser Tätigkeiten an die Frauen.
1 Ausführlich dazu: Lohoff, Ernst (1995): Die harte Landung des Dollar. Von der währungspolitischen Pax Americana zum Weltmarkt ohne Weltgeld. Krisis – Beiträge zur Kritik der Warengesellschaft 16/17, abrufbar unter www.krisis.org; Ders. (2000): Große Fluchten – Krise und Entwicklung des Kapitals. Weg und Ziel 1, abrufbar unter www.streifzuege.org; vgl. auch Kurz, Robert (1995): Die Himmelfahrt des Geldes. Strukturelle Schranken der Kapitalverwertung, Kasinokapitalismus und globale Finanzkrise. A.a.O.
2 Diese Argumentationslinie entwickle ich ausführlicher in: Lohoff, Ernst (2005): Die Verzauberung der Welt. Die Subjektform und ihre Konstitutionsgeschichte – eine Skizze. Krisis – Beiträge zur Kritik der Warengesellschaft 29.
3 Ich verwende hier ganz bewusst die männliche Form. Begriffe wie das gender-gerechte »Arbeitendenklasse« vernebeln nur den patriarchalen Charakter der kapitalistischen Tätigkeitsform.
4 Ausführlich dazu: Scholz, Roswitha (1992): Der Wert ist der Mann. Thesen zu Wertvergesellschaftung und Geschlechterverhältnis. Krisis – Beiträge zur Kritik der Warengesellschaft 12; Dies. (2000): Das Geschlecht des Kapitalismus. Feministische Theorien und die postmoderne Metamorphose des Patriarchats. Edition Krisis, Horlemann-Verlag, Bad Honnef.
5 Ausführlich dazu: Wedel, Karl-Heinz (2003): Die Höllenfahrt des Selbst. Von Kants Todesform des sinn-losen Willens. Krisis – Beiträge zur Kritik der Warengesellschaft 26.
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