Immer tiefer verstricken sich die Staaten in die Widersprüche der Geldpolitik. Nur mit Hilfe beispielloser Haushaltsdefizite konnte die Weltwirtschaftskrise zunächst aufgefangen werden, ohne dass ein selbsttragender Aufschwung in Sicht wäre. Jetzt droht das Postulat einer staatlichen Spar- und Entschuldungspolitik die schwache Konjunktur wieder abzuwürgen. Im Direktorium des IWF liebäugelt man mit einer „kontrollierten Inflation“, um das unbewältigbare Problem weiter hinauszuschieben. Nicht zufällig ist dabei der Euro-Raum ins Zentrum der geldpolitischen Krise gerückt. Das Konstrukt der Währungsunion lieferte die gemeinsame Notenbank den alten nationalen Souveränitäten mit unterschiedlichen Produktivitätsniveaus und ungleicher Kapitalkraft aus. Es war darauf ausgerichtet, diesen inneren Widerspruch mittels der globalisierten Defizitkonjunktur zu externalisieren. In dem Maße, wie deren Kraft erlahmt, ist der mögliche Staatsbankrott der kapitalschwachen Euro-Länder zum Sprengsatz der Währungsunion geworden.
Nach den Bürgschaften und Beihilfen für das marode Bankensystem und den defizitären Konjunkturprogrammen hat die EU nun ein drittes, noch größeres Rettungspaket für die Staatsfinanzen der Bankrottkandidaten aufgelegt. Es ist ein Treppenwitz, dass in dieser Situation Estland in die Euro-Gemeinschaft aufgenommen und für die Einhaltung von Stabilitätskriterien gelobt wird, die gar nicht mehr existieren. Die europäische Zentralbank (EZB) ist bereits dazu übergegangen, wertlose Staatsanleihen aufzukaufen. Das Problem besteht aber nicht in der nominalen Höhe der Defizite bei den angeblichen „Sündern“, sondern in deren mangelnder Kapitalkraft. Das nominale Defizit, gemessen am nationalen Bruttoinlandsprodukt, ist in der BRD höher als etwa in Spanien. Aber die BRD konnte sich bisher durch ihre immensen Exportüberschüsse gerade im Euro-Raum über Wasser halten. Schon seit 2009 drängen die anderen EU-Staaten darauf, dieses „Ungleichgewicht“ abzubauen. Dagegen wurde gesagt, die BRD dürfe nicht für ihre Exportstärke bestraft werden, sondern die anderen müssten für sich ähnliche Bedingungen schaffen. Die bestehen allerdings darin, dass sich die BRD den größten Billiglohnsektor in Westeuropa leistet und mit ihrer Kapitalstärke kombiniert. Die daraus resultierenden Exportüberschüsse konnten aber nur durch die Defizite der kapitalschwächeren Länder finanziert werden.
Jetzt beißt sich die Katze in den Schwanz. Der innereuropäische Defizitkreislauf ist zum Stehen gekommen und bringt den Widerspruch der Währungsunion zum Vorschein. Die hemmungslose Geldschwemme der EZB und die völlige Preisgabe der Maastricht-Kriterien führt nur dann nicht zur Inflationierung des Euro, wenn im Gegenzug tatsächlich die Staatshaushalte radikal heruntergefahren werden. Aktuell gefallen sich politische Klasse und Medien der BRD in einem nationalen Chauvinismus gegenüber den „Sündern“. Umgekehrt räsoniert die Linke über ein „Diktat“ der BRD in der Euro-Zone und eine Aushöhlung der nationalen Souveränitäten. Dieser ideologische Diskurs will nicht realisieren, dass hier ein wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis besteht. Die auf den Weg gebrachte extreme Sparpolitik, um den Euro zu retten, hat zwangsläufig einen deflationären Schock zur Folge. Wenn die staatlich induzierte Kaufkraft trocken gelegt wird, überschwemmt nicht nur die allgemeine Entwertung der Arbeitskraft, sondern auch die Entwertung von Sachkapital und Warenkapital den Euro-Raum. Damit zeigt sich, dass die vermeintlich autonome Exportstärke der BRD in der EU auf tönernen Füßen steht.
Eine Rettung des Euro und des ohnehin großenteils am staatlichen Tropf hängenden Bankensystems, das jetzt auch noch auf maroden Staatsanleihen sitzt, geht nur um den Preis einer Depression in den kapitalschwachen Euro-Ländern. Dafür sind die Weichen in Griechenland bereits gestellt; Spanien, Portugal und andere Länder werden folgen. Das Resultat kann nur eine Explosion der Massenarbeitslosigkeit in der BRD sein, die wiederum auf die übrige EU zurückschlägt. Eine Sparpolitik auf Biegen und Brechen in den Euro-Ländern mit negativer Handelsbilanz, die auf den Zusammenbruch der deutschen Exportkonjunktur hinausläuft, droht den selber längst überstrapazierten Staatshaushalt der BRD in dieselbe Lage zu versetzen wie den der angeprangerten Defizitsünder. Denn Kapitalstärke schlägt dann in Kapitalschwäche um. Wenn sich die deflationären Folgen des Spardiktats abzeichnen, würde eine erneute Kehrtwendung zu einer chaotischen Kombination von deflationären und inflationären Tendenzen führen (Stagflation). Die Merkel-Regierung ist gar nicht in der Lage, der EU ihr Eigeninteresse zu oktroyieren, sondern sie schwankt zwischen der Wahl von Pest oder Cholera. Erst recht kann die Uhr nicht zurückgedreht werden zu einem nationalen Wirtschafts- und Währungsraum im Sinne des blökenden D-Mark-Chauvinismus, der schon immer eine einseitige Exportorientierung zur Grundlage hatte. Auf die eigene Binnenkonjunktur zurückgeworfen, müsste die deutsche Herrlichkeit vollends ihren Geist aufgeben. Die inneren Widersprüche der europäischen Währungsunion werden zum Katalysator für die zweite Welle der Krise.
erschienen in der Wochenzeitung „Freitag“ am 20.05.2010
Aucun commentaire:
Enregistrer un commentaire