Wie in Griechenland ein Exempel statuiert werden soll
Im 21. Jahrhundert sind die Mächte des Kapitals nicht mehr auf territoriale Eroberungen aus, wie sich herumgesprochen hat. Was sollten sie auch mit Zonen ökonomisch verbrannter Erde und überflüssigen Bevölkerungen anfangen? Das heißt noch lange nicht, dass der Imperialismus ausgestorben ist. Es geht aber nicht mehr um nationale Weltreiche und Einflusszonen, sondern um die Beherrschbarkeit der Globalisierung als Krise. Die Grenzen der Kapitalverwertung sollen umdefiniert werden in Grenzen der Lebensfähigkeit für die Verlierermassen, der Zusammenbruch von Nationalökonomien in ein kontrolliertes Nebeneinander von kreditfinanzierten Boom-Towns und aufgegebenen Elendsregionen.
Die Produktion von Sicherheit für die Restgeschäfte unter diesen Verhältnissen bedarf der ideologischen Legitimation. Da trifft es sich gut, dass die entlassenen und enterbten Kinder des Kapitals nicht die besseren Menschen sind, sondern statt über ihre unmöglichen Daseinsbedingungen gern über ihre Mitbürger herfallen. Nicht der äußere, sondern der innere Krieg entlang ethnischer und religiöser Spaltungen wurde zum Konfliktparadigma einer zerfallenden Staatenwelt. Die weltpolizeilichen Einsätze seitens der Ordnungsmächte des kapitalistischen Zentrums gegen die Barbaren der Peripherie durften mit demokratischem Idealismus begründet werden.
Dieses Bild war freilich nur eine Momentaufnahme im schubweisen Auflösungsprozess des globalen Ordnungsgefüges. Spätestens die Weltwirtschaftskrise seit 2008 hat die Lage erneut grundsätzlich verändert. Jetzt werden die Grenzen der Kreditfähigkeit auch in den westlichen Zentren selbst erreicht. Überall zeichnen sich dort Schuldenkrisen ab, wie sie zuvor nur in den Randzonen des Weltmarkts aufgeflammt waren. Damit steht eine qualitativ veränderte Krisenverwaltung für die Metropolen auf der Tagesordnung, die das Gewicht vom äußeren auf den inneren Notstand verlagert. Außer unberechenbaren Populationen in den verwahrlosten Hinterhöfen des Weltkapitals müssen zunehmend die eigenen Mittelschichten ins Visier genommen werden. Der inhaltsleere demokratische Formalismus, den längst auch die Gottesfaschisten verschiedenster Couleur als Gestaltungsprinzip ihres Wahns erkannt haben, macht den Verwertungszwang des Kapitals als seine „Naturbasis“ (Marx) umso mehr geltend, wenn sich dessen innere Schranken aufrichten. Der kapitalistische Lebenssaft Geld muss Zug um Zug nicht mehr allein einer marginalisierten neuen Armut, sondern der Mehrheit des metropolitanen „Volkssouveräns“ abgedreht werden.
Damit zeichnet sich natürlich auch der legitimatorische Notstand ab. Während die NATO in Libyen mit Berufung auf demokratische Werte die Scharia herbeigebombt hat, kann für die westlichen Kernzonen der Globalisierung zunächst nur der Sachzwang des wankenden Finanzsystems die Rolle der Kampfbomber übernehmen. Die Exekution dieses ökonomischen Imperativs im Namen der Demokratie gegen die elementaren Lebensinteressen einer Mehrheit des formalen „Souveräns“ scheint sich zuerst in der EU zu vollziehen, weil hier das Währungskonstrukt des Euro den Widerspruch bereits auf die Spitze getrieben hat und eine supranationale Eingriffsinstanz besteht.
Griechenland ist qua faktischem Staatsbankrott unter globalen Krisenbedingungen zum Präzedenzfall geworden. Ein unkontrollierter Vollzug würde nicht nur das europäische Finanzsystem in die Luft jagen und die Folgen der Lehman-Pleite übertreffen. Ein kontrollierter Vollzug aber geht nur, wenn nahezu das gesamte griechische Staatsvolk unter das Existenzminimum gedrückt wird. Massenarbeitslosigkeit in neuen Dimensionen, Verelendung bis tief in die Mittelschichten, Zusammenbruch der medizinischen Versorgung und der öffentlichen Infrastrukturen werden Realität. Ein derartiges Inkasso der Kapitallogik können die griechischen Eliten nicht mehr auf eigene Rechnung verantworten. Es bedarf des krisenimperialistischen Eingriffs von außen, der von einer Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF in Anspruch genommen wird; jetzt nicht mehr gegen ein Armenhaus der ehemaligen Dritten Welt, sondern erstmals gegen ein westliches Land.
Zum Hardliner hat sich die Merkel-Regierung aufgeschwungen, die dabei Management, politischer und medialer Klasse ebenso wie dem niederen Herrenvolk hierzulande aus der Seele spricht. Unter Assistenz des Hilfssheriffs Sarkozy wird die Systemkrise verleugnet, um als selbsternannter Gerichtsvollzieher des „automatischen Subjekts“ (Marx) aufzutreten. Die als kapitalistisch unseriös abqualifizierten Griechen sollen nicht ans Berliner Disneyland angeschlossen, aber an die finanzpolitische Kandare genommen werden, bis sie Blut spucken. Sogar ein deutscher Sparkommissar für Griechenland war im Gespräch, auch wenn sich die EU-Mehrheit mit einem Rest von Schamgefühl dagegen ausgesprochen hat. Der falsche Überlegenheitsgestus speist sich aus der vorläufigen Position der BRD als Krisengewinnler, denn die deutsche Exportwalze profitierte von den auslaufenden weltweiten Staatsprogrammen, von der Abwertung des Euro gerade wegen der Schuldenkrise und von der Durchsetzung des hauseigenen Billiglohns seit Hartz IV. Dass das teutonische Wirtschaftsmärchen außer den eigenen Schulden die der anderen zur Voraussetzung hat und mit dem Verdampfen von Kaufkraft in der europäischen und globalen Rezession enden muss, wird verdrängt. Trotzdem weiß man zumindest so viel, dass an Griechenland ein Exempel statuiert werden soll, das notfalls auch für das eigene Land zu gelten hat; in der Hoffnung auf den historischen Sozialmasochismus des deutschen „Souveräns“, der schon immer vor staatsbürgerlicher Bravheit kaum laufen konnte.
Griechenland bietet sich auch deshalb als Experimentierfeld der neuen demokratischen Krisenverwaltung an, weil dort eine ebenso isolierte wie perspektivlose Jugendrevolte als Sparringspartner herhalten kann. Es passt durchaus ins Bild, dass der griechische Staatshaushalt sozial auf Null gefahren wird, während das Militärbudget sich 2012 im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt. Die damit verbundenen Schulden werden auch von den Sparkommissaren in spe wohlwollend wahrgenommen, denn die Bestellungen aus Athen machen immerhin 15 Prozent des Umsatzes deutscher Waffenschmieden aus. Außerdem ist es sowieso angesagt, dass der Apparat des demokratischen Ausnahmezustands auch militärisch die Muskeln spielen lässt, der nur in dieser Hinsicht in Griechenland so pseudo-eigenverantwortlich sein darf, wie er es in Afghanistan erst werden soll. Wenn es wirklich heiß wird, könnte der Notstandsterror unter deutscher Führung schon mal zeigen, wozu er fähig ist. Das Assad-Regime wird womöglich als Weichei erscheinen, sobald es um mehr als ein dünnes arabisches Sozialprodukt geht.
Vorerst muss die griechische politische Klasse ein wenig um ihre Kapitulationsbedingungen feilschen und Widerstand vortäuschen, damit das kaum noch erkennbare Gesicht gewahrt wird. Der Wählerwille weiß ohnehin nicht mehr, was er wollen soll, und das gesamte Parteiensystem wrackt sich ebenfalls exemplarisch selber ab. Genehm ist den postnationalen Krisenverwaltern die nationalistische Aufwallung, die als Ventil umso mehr dienen kann, als sie nur den Bankrott sozusagen artgerecht verarbeitet. Die bloß antideutsche Wut der Griechen geht den deutschen Exportchauvinisten am Arsch vorbei, denn das fällige Pogrom richtet sich real gegen albanische und afrikanische Flüchtlinge oder sonstige Migranten, wie sich nicht allein in Griechenland längst praktisch gezeigt hat. Auch in diesem Punkt hat Deutschland mit Neonazi-Serienkillern, die von der demokratischen Stasi verwöhnt werden, durchaus gesamteuropäische Führungsqualitäten zu bieten.
erschienen in Konkret 3/2012
Aucun commentaire:
Enregistrer un commentaire