vendredi 13 mai 2011

Hurra, der (Pseudo-) Aufschwung ist da!

Man nehme: Statistische Tricks, eine fantasievolle Bilanzführung, schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme und Billionen zur Generierung einer erneuten Spekulationsblase – und schon ist die Weltwirtschaftskrise scheinbar überwunden

 

Rechtzeitig vor der Bundestagswahl schreiben Deutschlands Meinungsmacher den “Exportweltmeister” aus der Rezession. Spiegel-Online sieht Deutschland bereits aus der Rezession wanken1, das Handelsblatt bejubelt2 ein Wirtschaftswachstum von 0,3 % im zweiten Quartal 2009 und die Financial Times Deutschland diskutiert3 bereits darüber, wie “wir” die Krise besiegten. Auch in den Vereinigten Staaten sieht die amerikanische Notenbank Fed ein Ende der Rezession4, da dort die Industrieproduktion im Juli um 0,5 % gegenüber dem Vormonat anstieg. Für das dritte Quartal dieses Jahres wird sogar ein Wachstum von drei bis vier Prozent erwartet.
Die FTD sieht die amerikanische Industrie sogar vor einem spektakulären Comeback5, nachdem diese aggressiv Arbeitsplätze abgebaut und nun ihre Produktivität im Schnitt um über fünf % gegenüber dem ersten Quartal 2007 erhöht habe. Auf die Idee, dass es gerade die rasant steigende Produktivität der Industrie war ( Explosionsartige Ausweitung der Finanzmärkte in der Clinton-Ära6), die letztendlich zur Ausbildung des finanzmarktgetriebenen7 – und Spekulationsblasen generierenden – Kapitalismus in den letzte Jahrzehnten beitrug, kommen Finanzjournalisten selbstverständlich nicht. Selbst amerikanische Wirtschaftsmedien warnen8 derzeit vor den Auswirkungen eines “jobless growth”, eines Wirtschaftswachstums ohne Arbeitsplatzwachstum, das nur kurzfristig aufrecht erhalten werden kann:
“However, other recent reports are warning of a jobless recovery, which could result in lackluster growth in the coming quarters, especially with some 70 percent of the U.S. economy dependent on consumer spending.”
Wenn überhaupt, so findet man erst auf den hinteren Zeitungsspalten Hinweise darauf, dass der Arbeitsplatzabbau noch weiter voranschreiten werde, oder dass Konjunkturrisiken9 noch fortbestehen. Keine einzige meinungsbildende deutsche Zeitung titelte beispielsweise, dass im selben Zeitraum, in dem eine Konjunkturerholung von 0,3 % gegenüber dem Vorquartal bejubelt wurde, Deutschlands BIP ebenfalls um 7,1 % fiel – zum Vorjahreszeitraum wohlgemerkt. Kein einziger deutscher Meinungsmacher hielt es für angebracht, seinen Lesern mitzuteilen, dass dies der stärkste Konjunktureinbruch in der deutschen Wirtschaftsgeschichte ist, der jemals im Jahresvergleich statistisch erfasst wurde. Inzwischen bleibt es engagierten Internetblocks wie beispielsweise dem wirtschaftquerschuss10 vorbehalten, darauf hinzuweisen11, dass bei dieser “mehr als nur unkritischen Sichtweise” der Massenmedien ein “sehr schwaches Quartal bewusst in ein Rezessionsende umgedeutet” werde.

Das muntere Raten geht weiter

“Schönreden, schönfärben”, kreative Buchführung und versagende Ratingagenturen hätten maßgeblich zur Verschärfung der Krise beigetragen, konstatiert12 der wirtschaftquerschuss. Haben wenigstens die letztgenannten ihre Lektion aus der Krise gelernt?
Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) am 28. Juli meldete13, nimmt sich die Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) “mehr Zeit” für die erneute Überprüfung ihres Bewertungsverfahrens, nachdem sie massiver Kritik aus der Finanzbranche ausgesetzt war. Die neuen Regeln waren den Emittenten der Wertpapiere einfach zu streng! Es drohten “Massen-Abstufungen” von Wertpapieren, die auch Schwergewichten wie der Europäischen Zentralbank “nicht willkommen” seien, wenn diese ihre Bestwertung von AAA verlieren sollen, berichtete14 die FAZ. Nochmal im Klartext: Die Ratingagenturen werden nun kritisiert, weil ihre neuen Bewertungskriterien zu streng sind!
Wie die auf Druck der Finanzbranche erneut überarbeiteten Bewertungsregeln aussehen werden, wird vielleicht anhand einer Episode aus dem vergangenen Juli ersichtlich. Nachdem S&P etliche Kreditverbriefungen für Gewerbeimmobilien (CMBS) auf die Note BBB- herabstufte, musste die Ratingagentur am 24. Juli nach massiver Kritik zurückrudern15 und diesen wiederum die Bestnote AAA vergeben. Anleger, die die von S&P herabgestuften CMBS zuvor gekauft hätten, seien “auf unfaire Art bestraft” worden, zitierte die FAZ einen Citigroup-Banker. Der CMBS-Markt hätte sich jüngst etwas erholt, weil Papiere mit hoher Bonität von Investoren im Rahmen eines staatlichen Kreditprogramms gekauft worden seien, so die FAZ weiter. Dieser Aufschwung sei nun in Gefahr.
Inzwischen ist auch klar, dass auch das grundsätzliche Geschäftsmodell der Agenturen unangetastet bleibt. Die Emittenten der Wertpapiere werden die Agenturen weiterhin für die Bewertung bezahlen. Gerade dieser Interessenkonflikt, in denen die Ratingagenturen geraten, wurde für die massenweise Überbewertung von Schrottpapieren während der Spekulationsblase auf dem Immobilienmarkt verantwortlich gemacht! Um den – vom Steuerzahler subventionierten – Handel mit all den toxischen “Wertpapieren” nicht zu gefährden, dürfen diese natürlich nicht entsprechend ihres Werts als Finanzmüll bewerten werden. Das Auftauchen der “eingefrorenen” Finanzmärkte kann nur vermittels systematischen Selbstbetrugs gelingen.

Blinde Bankenbilanzen

Wenn es um die Ausgestaltung Potemkinscher Dörfer geht, lassen sich allerdings die Banken von niemandem überbieten. Bereits im vergangenen Oktober lockerte die Europäische Union im Eilverfahren die Bilanzregeln für die Finanzinstitute, um so ausufernde Notverkäufe und eine drohende Börsenpanik zu verhindern. Die EU-Kommission räumte den Banken und Versicherungen die Möglichkeit ein, “Wertpapiere in ihren Büchern zum Kaufpreis zu verbuchen, der oft viel höher liegt als der derzeitige Marktwert”, wie es damals pietätsvoll Springers Welt formulierte16 formulierte.
Die “gelockerten” Bilanzregeln wurden rückwirkend wirksam, so dass beispielsweise die Deutsche Bank nur dank dieser kreativen Buchführung17 im Zeitraum Juli bis September 2008 an die 414 Millionen Euro Gewinn ausweisen konnte – ansonsten hätte sie 900 Millionen Euro an Abschreibungen vornehmen müssen. Im Endeffekt legalisierte die EU-Kommission einen Straftatbestand, nämlich die Überbewertung von Aktivposten, der einstmals zur Nichtigkeit einer Unternehmensbilanz führte.
Aus dieser Ad-hoc-Maßnahme, die ähnlich in den USA umgesetzt wurde, wird nun neues Bilanzrecht geformt. Bereits im April 2009 hob18 der amerikanische Bilanzierungsrat auf Drängen des Kongresses die fundamentale Bilanzregel auf, wonach ein Unternehmen nur das in die Bilanz hineinschreiben darf, was es am Markt erzielen kann. Laut Financial Times Deutschland (FTD) geben die neuen Leitlinien den “US-Instituten mehr Spielraum, bei der Bewertung ihrer Ramschpapiere vom aktuellen Marktwert (Fair Value) abzuweichen”.
Mitte Juli gab ebenfalls die europäische Bilanzorganisation IASB dem politischen Druck – auch aus Deutschland – zur Schönfärberei nach und lockerte die Bilanzierungsregeln. Europa und Amerika lieferten sich einen regelrechten “Wettstreit”, wer den Finanzinstituten “beim Bewerten von Problem-Papieren und Krediten am meisten” entgegenkomme, witzelte19 die FTD. Bei vielen Finanzinstituten dürfte es sich somit nur noch um lebende Tote handeln, um Zombies des untergegangenen, finanzmarktgetriebenen Kapitalismus, die nur dank der legalisieren Bilanzfälschung noch am Leben erhalten werden. Scheinbar kann der Kapitalismus nur noch funktionieren, indem er seine eigenen Rentabilitätskriterien außer Kraft setzt.
Zu dieser neuen Phase der betriebswirtschaftlichen und statistischen Schönfärberei muss man selbstverständlich noch die “klassischen” Verzerrungen in den Statistiken hinzuzählen, wie sie beispielsweise bei der Inflationsrate oder der Arbeitslosigkeit in den letzten Jahrzehnten sukzessive und planmäßig forciert worden. Es ist eigentlich schon seit Jahren ein offenes Geheimnis, dass beispielsweise die deutsche Arbeitslosenstatistik massiv manipuliert20 ist und Millionen von Arbeitslosen nicht mehr erfasst werden. Wie man sich die Inflationsrate zurecht lügen kann, erläuterte jüngst Paul Craig Roberts, ehemals stellvertretender Finanzminister in der Reagan-Administration. Das Zauberwort lautet “Substitution”:
The Consumer Price Index no longer measures a constant standard of living and is not comparable to pre-Clinton periods. During the 1990s, the CPI ceased to be based on a weighted fixed assortment. The principle of substitution was introduced. For example, under the old measure, if the price of steak rose, the CPI rose. Under the new measure, if the price of steak rises, the index switches to hamburger on the assumption that consumers substitute hamburger for steak.
Paul Craig Robert: How Fake is the “Recovery”?21
Konjunkturpropaganda, statistische Tricks oder die legalisierte Bilanzfälschung der Banken können aber die derzeit zu beobachtende, zumindest zeitweilige Stabilisierung der Weltwirtschaft nicht gänzlich erklären. Neben der BRD und den USA meldete beispielsweise auch das schwer gebeutelte Japan zwischen April und Juni 2009 ein Wachstum von 0,9 % gegenüber dem Vorquartal. China hingegen, wo das BIP im zweiten Quartal dieses Jahres um 7,9 % hochschnellte, gilt ohnehin inzwischen als die “Lokomotive” der Weltwirtschaft.

Staatsfinanzierter Aufschwung

Des Rätsels Lösung findet sich in den massiven staatlichen Konjunkturprogramm, die weltweit von den führenden Industrienationen gestartet worden. Die staatlichen Programme, die zur Aufrechterhaltung des stotternden kapitalistischen Konjunkturmotors aufgewendet werden, erreichten auf globaler Ebene tatsächlich enorme Dimensionen. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) beziffert22 den weltweiten Umfang der staatlichen Konjunkturhilfen auf rund drei Billionen US-Dollar. Dieser gigantische staatliche Nachfrageschub entspricht laut IfW ca. 4,7 % des Welteinkommens.
Die Vereinigten Staaten haben mit Aufwendungen in Höhe von 972 Milliarden US-Dollar das größte Konjunkturprogramm aufgelegt, das circa 35 % der globalen Gesamtausgaben umfasst. Dieser in zwei Konjunkturgesetzen vom Februar und Oktober 2008 verabschiedete Nachfrageschub entspricht beeindruckenden 7,1 % des amerikanischen BIP. In Relation zur eigenen Wirtschaftsleistung werden aber diese Aufwendungen von dem chinesischen Konjunkturpaket weit in den Schatten gestellt. Die 586 Milliarden US-Dollar, die Peking insgesamt zur Stützung der Wirtschaft aufwendet, entsprechen sage und schreibe 14 % des chinesischen BIP – und tragen maßgeblich zu dessen weiteren, rasanten Anstieg bei. China ist somit für 20 % der globalen staatlichen Konjunkturausgaben verantwortlich.
Die wirtschaftlichen Stimulierungsmaßnahmen der EU und Japans erreichen immerhin noch einen Anteil von jeweils circa 15 % an den weltweiten staatlichen Konjunkturausgaben. Aufgrund des unterschiedlichen Bruttoinlandsprodukts ergibt23 sich aber eine ganz anders zu gewichtende Auswirkung dieser Aufwendungen. Die 468 Milliarden US-Dollar des japanischen Konjunkturprogramms entsprechen circa neun % der Wirtschaftsleistung im “Land der aufgehenden Sonne”, während die von den europäischen Einzelstaaten und der Europäischen Investitionsbank aufgelegten Stimulierungsmaßnahmen gerade mal 1,6 % des BIP aller Mitgliedsländer der Europäischen Union betragen.
Angesichts dieser teilweise gigantischen Aufwendungen scheint ein Wirtschaftswachstum, wie es beispielsweise in Japan oder den USA realisiert wurde, doch äußerst bescheiden. Selbst das rasante Wachstum Chinas relativiert sich unter Berücksichtigung der enormen – 14 % des BIP umfassenden! – Konjunkturspritze. Immerhin äußern viele Ökonomen die Einschätzung, dass die meisten Konjunkturmaßnahmen erst ab Jahresmitte zu greifen beginnen. In der gesamten EU aber, die ja – in Relation zum BIP – sehr niedrige Stützungsmaßnahmen initiiert hat, kann selbst ein Wachstum im Promillebereich nicht realisiert werden. Die Industrieproduktion sank im Juni in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union um 0,2 % zum Vormonat, die Industrieaufträge gingen sogar um 0,46 % zurück.
Gestern hat die EU-Kommission eine Mitteilung mit dem Titel Rezession nahezu überwunden, Unsicherheit jedoch weiter hoch24 veröffentlicht:
Mit der teilweise auf energischen konjunkturpolitischen Maßnahmen beruhenden Stabilisierung der Weltwirtschaft wurde der Rückenwind im Sommer stärker. Im zweiten Quartal 2009 verringerte sich der Rückgang des BIP in der EU dank verbesserter Finanzierungsbedingungen gegenüber dem Vorquartal von 2,4 % auf 0,2 %. Da der Lagerhaltungszyklus sich an einem Wendepunkt befindet und das Vertrauen in fast allen Sektoren und Staaten wächst, sind die kurzfristigen Aussichten nun günstig.
Auf der Grundlage dieser Trends wurden die Wachstumsprojektionen für das zweite Halbjahr 2009 in der Prognose der Kommission leicht nach oben korrigiert. Gleichwohl wird für das Gesamtjahr 2009 infolge der nach unten korrigierten früheren Prognosen für 2008 und das erste Quartal 2009 weiterhin von einem Rückgang des BIP um 4 % sowohl in der EU als auch im Euroraum ausgegangen.
EU-Mitteilung
Offensichtlich findet nur dort eine konjunkturelle Erholung statt, wo die konjunkturellen Aufwendungen des Staates hoch genug sind. Überdies profitieren exportabhängige Länder wie Deutschland und Japan von den Konjunkturprogrammen anderer Volkswirtschaften.
telepolis, 15.09.2009

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