Die Krise, ob sie nun erst einmal eingedämmt ist oder schon bald verschärft wiederkehrt, ist im Kern eine sogenannte Schuldenkrise. Aber was heißt das? Das Produktionskapital leiht sich über das Bankensystem Geld. Deshalb muss es dann seinen Profit mit dem Finanzkapital teilen, das davon Zinsen bekommt als Preis für das geliehene Geld. Kann das Produktionskapital aber den Profit nicht in ausreichender Höhe erzielen, tritt sowohl für den Schuldner als auch für den Gläubiger eine Krise ein. Das „Volksvorurteil“ (Marx) gibt dabei gern die Schuld dem „gierigen“ Finanzkapital, das sich unproduktiv bereichern will. Aber die Frage ist doch, warum sich das Produktionskapital überhaupt Geld leihen muss, um die Produktionsmittel bezahlen zu können. Da liegt der Hund begraben, nicht beim „bösen“ Finanzkapital.
Die Konkurrenz erzwingt ständige Produktivitätssteigerung, und diese ist nur möglich durch den Einsatz eines immer größeren wissenschaftlich-technischen Aggregats. Marx hat gezeigt, dass sich dabei der Anteil des toten, keinen Neuwert schöpfenden Sachkapitals gegenüber dem Anteil der Arbeitskraft, die allein zusätzlichen Wert produziert, immer mehr erhöht. Die bürgerliche Statistik sagt dasselbe, wenn sie feststellt, dass die Kosten für einen Arbeitsplatz zusammen mit der Kapitalintensität ständig steigen. Mit anderen Worten: Die toten Vorauskosten für das Produktionskapital können nicht mehr aus den laufenden Gewinnen finanziert werden. Deshalb der Zugriff auf den Kredit, um das wachsende Sachkapital bezahlen zu können. Im 20. Jahrhundert hat sich das Verschuldungsproblem vom Produktionskapital auf den Staat und die privaten Haushalte ausgedehnt. Auch die Staatsausgaben für Infrastrukturen und der private Konsum sind nicht mehr durch laufende reale Einnahmen zu finanzieren, sondern nur noch auf Pump.
Die Mega-Verschuldung auf allen Ebenen ist aber nichts anderes als der Vorgriff auf zukünftige Gewinne, Löhne und Steuern aus realen Produktionsprozessen. Dieser „Zukunftsverbrauch“ wird zur allgemeinen Krise, wenn er zu weit vorgeschoben wurde und die Kreditketten reißen. Das gilt für alle Akteure, also auch für den Staat. Nun ist die Rede von „Defizitsündern“ und unseriösem Finanzgebaren. Wir dürften nicht auf Kosten der zukünftigen Generationen leben, so heißt es. Nötig sei eine neue „Hausvatermoral“ mit eisernem Sparwillen. In Wirklichkeit werden aber nicht zukünftige Lebensmittel, Kleider, Wohnungen und Geräte verbraucht, sondern allein zunehmend illusorische zukünftige Geldeinnahmen, um aktuell reichlich vorhandene materielle Ressourcen überhaupt noch einsetzen zu können.
Diese Absurdität verweist darauf, dass der Kapitalismus ein Selbstzweck abstrakter Geldvermehrung ist und nichts mit einer effizienten Befriedigung der Bedürfnisse zu tun hat, wie seine Apologeten behaupten. Geld ist keine reale Ressource, sondern die fetischistische Form der realen Ressourcen. Und die globale Schuldenkrise ist das Resultat des verzweifelten Versuchs, durch aufgeblähten „Zukunftsverbrauch“ von nie mehr kommenden Geldeinnahmen die gewaltigen Produktivkräfte in den Grenzen des kapitalistischen Selbstzwecks gewaltsam festzuhalten, obwohl sie längst darüber hinaus gewachsen sind. Weil der Kapitalismus seine eigene Zukunft schon verbraucht hat, sollen wir jetzt schlechter leben und intakte Ressourcen bis hin zur medizinischen Versorgung herunterfahren. Nicht nur in Griechenland ist die Schmerzgrenze bereits erreicht. Aber das gesellschaftliche Bewusstsein hat es noch nicht gelernt, die „entwerteten“ Ressourcen nach einer anderen Logik einzusetzen.
erschienen im Neuen Deutschland
am 10.01.2011
am 10.01.2011
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