vendredi 22 octobre 2010

Der Rhythmus des Absoluten

Eske Bockelmanns "Im Takt des Geldes"

Uns modernen, in "Kopf" und "Bauch" gespaltenen Subjekten erscheint kaum etwas so eindeutig letzterem zugehörig, also in der eigenen Körperlichkeit verwurzelt, wie unser Gefühl für Rhythmus. Was rhythmisch ist und was nicht, mag sich allgemein verbindlich nur schwer in Worte fassen lassen, und dennoch wissen wir es, sobald wir es hören. Es liegt nahe, eine derart elementare Empfindung als natürlich, zu unserer biologischen Grundausstattung gehörig anzusehen, und so geschieht es denn auch, wenn das Rhythmusgefühl etwa am Herzschlag oder am Takt des (zweibeinigen) Gehens festgemacht wird. Aber so ist es nicht. Wie so Vieles, was das Aufklärungsdenken fälschlicherweise für "allgemein menschlich" hält oder sogar in der Biologie fundiert sieht, ist auch unser Rhythmus, der Takt-Rhythmus nämlich, historisch spezifisch. Er tritt erstmals zu Beginn des 17. Jahrhunderts und nur in Westeuropa auf, es gab ihn nirgendwo sonst als eben in der bürgerlichen Gesellschaft, er gehört zu ihr und nur zu ihr.
Dieser Befund bildet den Auftakt des fünfhundert Seiten starken Buches von Eske Bockelmann: "Im Takt des Geldes. Zur Genese modernen Denkens". Der Befund selber wird auf mehr als hundert Seiten akribisch ausgebreitet. Er besagt nicht etwa, dass es außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft so etwas wie Rhythmus nicht gegeben habe, nur war er nicht dasselbe wie für uns. In Antike und Mittelalter ebenso wie in den außereuropäischen Gesellschaften besteht Musik und Poesie aus Elementen "erfüllter Zeit", deren Länge in ganzzahligen Proportionen zueinander stehen. Die zugehörige Quantitätsrhythmik entsteht durch den Wechsel langer und kurzer Abschnitte und wird von uns (bei traditionalem Vortrag) als rhythmisch gar nicht mehr wahrgenommen. Demgegenüber besteht die moderne Taktrhythmik darin, ein Raster gleichlanger Zeitintervalle, die zunächst leeren Takte, durch Elemente auszufüllen, die nach dem Schema betont-unbetont aufeinander folgen, ein Schema übrigens, das wir durch unsere Art des Hörens in die Töne auch selbst erst hineinlegen, indem wir sogar noch einen gleichmäßig tropfenden Wasserhahn nach diesem Muster hören. Der Verweis auf moderne Musik- oder Posiestile, die dieser Gesetzmäßigkeit nicht folgen, verfängt hier nicht: Sie werden von uns nämlich nicht als rhythmisch erlebt. Dieser Wechsel des Rhythmusgefühls ist im Westeuropa des beginnenden 17. Jahrhunderts nahezu schlagartig erfolgt und lässt sich nicht auf Veränderungen in Musik und Poesie zurückführen, sondern ist umgekehrt deren Ursache. Bockelmann (S. 119) macht das beispielhaft fest an dem "Buch von der deutschen Poeterey" von Martin Opitz aus dem Jahre 1624, in dem dieser als erster die Forderung erhebt, Verse seien von nun an als Akzentverse, also nach dem Schema betont-unbetont zu dichten, weshalb Opitz selber seine bisherigen Verse als unzureichend empfindet und nach den neuen Regeln umschreibt. Offenbar wird zu dieser Zeit in den Subjekten ein Reflex implantiert, der uns seither zwingt, dem Taktrhythmus zu folgen und alles, was darin nicht aufgeht, als unrhythmisch zu empfinden, wie es Opitz seinen eigenen, älteren Versen gegenüber erging, die vor dem neuen Rhythmus nur noch als Knittelverse erscheinen.
Woher kommt dieser Zwang? Bockelmann macht sich auf die Suche und findet seine Ursache im Geld, genauer: in der durch Geld vermittelten Vergesellschaftung, die dann im weiteren Fortgang des Buches als Grund für zwei weitere Phänomene dingfest gemacht wird, die der bürgerlichen Gesellschaft und nur ihr in derselben Weise verhaftet sind wie der Taktrhythmus, nämlich die (mathematische) Naturwissenschaft und die neuzeitliche Philosophie. Die letzteren Zusammenhänge sind nicht neu, werden aber im vorliegenden Buch so dargestellt. Allem Anschein nach ist Eske Bockelmann ein Einzelkämpfer, so empfindet er sich jedenfalls, wenn er die Genese allen neuzeitlichen Denkens aufdeckt, die diesem bisher verborgen geblieben sei. Soweit sie den positivistischen Mainstream betrifft, ist diese Feststellung sicher richtig. Bockelmann aber rezipiert weder Marx noch Sohn-Rethel noch die Kritische Theorie und auch nicht die neueren wert- und wertabspaltungskritischen Ansätze zur Aufklärungs-, Subjekt- und Erkenntniskritik. Seine Adressaten sind dem Aufklärungsdenken verhaftete Leserinnen und Leser, als könne es andere gar nicht geben. Das macht die Lektüre des Buches passagenweise ärgerlich, doch ich kann nur empfehlen, darüber hinweg zu lesen, es lohnt sich. Bockelmann erfindet in verschiedener Hinsicht das Rad neu, doch kommt dabei am Ende eben nicht nur das alte Rad heraus. Seine Unkenntnis bzw. Nichtbeachtung bestehender Ansätze zum Zusammenhang von "Geld und Geist" lässt ihn eigene Wege gehen, von denen dann auch andere Zugänge profitieren könnten. Man müsste sie nur zusammenbringen.
Bockelmanns Vorteil ist es, mit dem taktrhythmischen Reflex etwas erklären zu müssen, was sehr präzise zu Beginn der Neuzeit in Erscheinung getreten ist und keinerlei Vorläufer kennt. Anders als Sohn-Rethel und zum Teil auch Adorno/Horkheimer (in "Dialektik der Aufklärung") kann er daher gar nicht erst in Versuchung kommen, moderne Verhältnisse in die griechische Antike rückzuprojizieren und dort nach den gesuchten Zusammenhängen zu fahnden. Derartige aus dem Aufklärungsdenken stammende Ansinnen weist er denn auch auf allen betrachteten Ebenen (Geld, Wissenschaft, Philosophie) begründet zurück. Auf der anderen Seite wäre ihm ein Versuch, den voll entwickelten Kapitalismus in seinem Wesen und seiner Rückwirkung auf die bürgerlichen Subjekte erfassen zu wollen, für seine Fragestellung ebenfalls eher hinderlich. Bockelmann konzentriert sich daher darauf, den zu Beginn des 17. Jahrhunderts erreichten Stand der Geldvergesellschaftung möglichst genau zu fassen und die anderen Bereiche daraus zu erklären. Gelingt dies, so sollte es auch möglich sein, spätere Entwicklungen des Denkens mit dem jeweils erreichten Stand kapitalistischer Vergesellschaftung in Beziehung zu setzen, so etwa die "wissenschaftliche Revolution" zu Beginn des 20. Jahrhunderts, ein Problem, dessen Lösung meines Wissens noch aussteht.
Mit Bockelmann lässt sich der Beginn des 17. Jahrhunderts als der historische Moment kennzeichnen, in dem in den bürgerlichen Zentren Westeuropas das Geld beginnt, sich gegenüber den (übrigen) Waren zu verselbständigen, da sein Gebrauchswert unabhängig vom Material und allen konkreten Inhalten nur noch darin besteht, Träger von Wert zu sein, für den sich alle anderen Waren kaufen lassen. Vom Inhalt
"löst sich der Wert in dem historischen Moment, da das Geld bestimmende Allgemeinheit gewinnt: wenn es ein historisch erstes Mal also heißen kann, »all things came to be valued with money, and money the value of all things«. Dann beginnt Geld - in diesem für uns prägnanten Sinn - Geld zu sein, indem es als Geld allein noch fungiert. Der feste Bestand, den es bis dahin nur im wertvoll gedachten Material hatte, geht dann nämlich über in die bestandsfeste Allgemeinheit des Bezugs aller Dinge auf den Geldwert - und also in dessen für sich genommen festes Bestehen. Wenn die Handlungen des Kaufens und Verkaufens für die Versorgung bestimmende Allgemeinheit erlangen, entsteht damit die allgemeine Notwendigkeit, den Markt, zu dem es dafür gekommen sein muss, als das Geflecht dieser Kaufhandlungen fortzusetzen, ganz einfach deshalb, damit die Versorgung, die daran hängt, nicht ihrerseits abreißt. Die Notwendigkeit, allgemein über Geld zu verfügen, übersetzt sich so in die Allgemeinheit, mit der die Geldfunktion auch weiterhin notwendig ist; und übersetzt sich damit in die Festigkeit dieser Funktion als einer für sich bestehenden Einheit.
...
Der gesellschaftliche Zusammenhang von Geldhandlungen, der Markt, lässt den Wert sich also vom Material lösen, macht ihn zu einem nicht-material, nicht-inhaltlichen und insofern - man halte kurz die Luft an - zu absolut gedachtem Wert. ... Nicht das Metall der Münze, nicht das Papier eines Geldscheins ist uns wertvoll, nicht in dessen vielleicht kunstvollem Druck besteht für uns sein Wert, sondern darin, dass sich dieser Wert in einer Geldhandlung realisiert, und zwar zuverlässig wird realisieren lassen ... (Wir) denken diesen Wert nicht in der Materie des Stücks Papier, sondern allein darin, dass sie uns seinen Gebrauch als Wert verbürgt. Wert ist sie uns allein in diesem Gebrauch, der uns auf solche materiale oder egal welche andere Weise verbürgt wird. Als Wert denken wir, in der Form einer quantifizierbar für sich bestehenden Einheit, eben diesen Gebrauch, die Funktion des Geldes.
       So - und so einfach - denken wir Wert als absolut, als die quantifizierbare Einheit der Geldfunktion. Was aber, wenn absolut, ist dann diese Einheit »Wert«, worin besteht sie, als was bewegen wir sie in unseren Köpfen, die da unablässig, stündlich, täglich, ein Leben lang mit ihr befasst sind? Der universelle Bezug auf Waren als Werte, den wir mit dem Geld vollziehen, scheint uns im Geldwert als ein eigenes Ding zu bestehen, als ungreifbar immaterielles, eigenschaftsloses Wesen, festesten Bestands, aber ohne allen Inhalt und, mehr und genauer noch, jenseits allen Inhalts, eben weil es jenen universellen Bezug auf die Inhalte selbst und abgetrennt von ihnen darstellt. Es ist also notwendig bezogen auf Inhalte und insofern das Gegenteil von absolut; zugleich aber ist es unabhängig davon, auf welche Inhalte es jeweils bezogen wird, und, indem es nichts darstellt als diesen Bezug, also ohne auch nur abstrakt leerer Inhalt zu sein - wie es als solcher etwa der Wert eines Goldstücks wäre - , besteht es selbst als dieser von den Inhalten abgetrennte Bezug auf sie; insofern aber absolut. Die Einheit, als die wir Wert denken, ist demnach, der bloße Bezug als Einheit genommen, reine Verhältnisbestimmung und in diesem Sinne endlich, reine Einheit." (S. 225 ff, Hervorhebungen im Original)
An dieser Kennzeichnung der Wertabstraktion hängt gewissermaßen die Gesamtkonstruktion des Buches, der Rest ergibt sich fast von allein. Der Wertbegriff, der hier entwickelt wird, ist - obwohl nicht subjektiv - nur auf die Sphäre der Distribution bezogen, er kommt ohne "Wertsubstanz" aus, von der Arbeit also ist an keiner Stelle die Rede, weshalb es auch nicht möglich wäre, eine Wertgröße aus ihm abzuleiten. Aber darum geht es Bockelmann nicht. Ihn interessiert allein, was das Geld in den von ihm vergesellschafteten Subjekten anrichtet, wie es sie konstituiert. Allerdings wäre es an dieser Stelle durchaus angebracht, eine Verbindung zum Marx'schen Fetischbegriff herzustellen, sie würde Bockelmanns Darstellung noch mehr Stringenz verleihen.
Die hat sie so schon. Auch wenn Bockelmann diesen Begriff nicht benutzt, so beschreibt er hier eine Realabstraktion par excellence. Sie liegt nicht - wie bei Sohn-Rethel - bereits in der Tauschhandlung, sondern in der bestimmenden Allgemeinheit des Geldes, und gehört deshalb eindeutig erst der Neuzeit an. Sie verlangt den Marktteilnehmern eine Abstraktionsleistung ab, die sie erbringen müssen, ohne sie als bewusste Denkleistung zu vollziehen: "Sie wissen es nicht, aber sie tun es" (Marx), bzw. sie müssen es tun. Sie müssen sie um ihrer Überlebensfähigkeit willen als einen Reflex ausbilden, der fortan als ein ihnen nicht bewusster Zwang nicht nur die Geldhandlungen, sondern ihren Zugang zur Welt überhaupt bestimmt:
"Dies die Form, in der kein Mensch bis dahin hatte denken müssen und keiner daher hatte denken können, die neuzeitlich bedingte synthetische Leistung, welche die Menschen damit aufzubringen haben: zwei auf Inhalte bezogene, selbst aber nicht-inhaltliche Einheiten im reinen Verhältnis von bestimmt gegen nicht-bestimmt. Diese Synthesis wird dem Denken, so bedingt, zur Notwendigkeit und zum Zwang.
...
Ihren genuinen Bereich hat diese Synthesis im Umgang mit Geld, und ebendort haben die Menschen sie anzuwenden auf alle, unbestimmt welche Inhalte, haben sie die reine Einheit »Wert« auf gleichgültig welchen Inhalt zu beziehen. ... Über die ältere und ebenfalls synthetische Leistung materialer Denkform, nämlich Wert in den Dingen zu denken und sie nach diesem inhärent gedachten Wert aufeinander zu beziehen, legt sich die neue, funktionale Leistung, ihn zu formen in die nicht-inhaltlichen Einheiten.
       Ganz entsprechend der Vorgang in der Rhythmuswahrnehmung. Dort war bis dahin ebenfalls eine ältere synthetische Leistung am Werk, nach der die Menschen Klangeinheiten als Einheiten erfüllter Zeit proportional aufeinander bezogen, nach inhaltlichen Bestimmungen und also wiederum material. Wenn nun die funktionale Synthesis am Geld wirksam wird und dank ihrer Genese keine Beschränkung darin kennt, auf welche Art von Einheiten sie sich zu legen hat, legt sie sich daher notwendig auf andere synthetische Einheiten, die sie im »Denken« dort, wo sie wirkt, bereits vorfindet und die ihrer Art des Zugriffs vor allem sehr gut nachgeben können: Die materialen, erfüllten Zeiteinheiten formt und verbindet sie nunmehr nach ihnen, den funktionalen Bestimmungen und schafft sie damit zu den leeren, nach bestimmt gegen nicht-bestimmt unterschiedenen Zeiteinheiten der Taktschläge." (S. 229 ff, Hervorhebungen im Original)
Die damit geleistete Erklärung der neuzeitlichen Rhythmuswahrnehmung aus der Geldvergesellschaftung ist trotz des entsprechendem Titels des Buches nicht dessen eigentliches Thema, das viel weiter reicht. Dennoch spielt dieser Auftakt auch im weiteren Gang der Erörterung eine Rolle. Mit ihm kann Bockelmann seine eigene Denkbewegung erklären, und das ist wohl auch nötig angesichts seiner These, alle neuzeitliche Wissenschaft und Philosophie, da ihrer eigenen Genese nicht bewusst, befinde sich im Irrtum, bis jetzt.
"Wie kann es sein, dass all dies so lange nicht erkannt wurde? Gute vier Jahrhunderte hätte jenes Konstituens der gesamten Neuzeit im Verborgenen gewirkt? Und die schärfsten Geister und ihre genaueste Reflexion wäre blind dafür geblieben? Hätten zwar mit und nach ihm gedacht, doch nicht gewusst, was sie da taten? Ja, so muss es sein und es ist kein Wunder. Kein Philosoph konnte und kann, indem er noch so durchdringend auf seine Gegenstände blickt, in den Blick bekommen, was schon seinen Blick bestimmt, dasjenige, durch das hindurch er seine Gegenstände sieht. Niemand vermöchte gleichsam die Färbung der Gläser zu erkennen, durch die sich ihm die Welt so gefärbt zeigt, wie sie es sind, allein indem er auf diese Welt schaut. Kein Philosoph, keine Größe der Naturwissenschaft und auch niemand sonst könnte auf diese Weise zu einem anderen Urteil kommen als zu dem: Weit und breit von Färbung nichts zu sehen! Kein Begriff und keine Reflexion gelangt noch hinter das, was vor aller Reflexion und vor allen Begriffen liegt und sie eben dadurch immer schon formt.
       Dorthin zu gelangen, das konnte nur gelingen, wo sich dies Formende in seiner Wirkung gerade so begriffslos und unreflektiert zeigt, wie es dies in sich ist. Der einzige Ort solcher Wirkung aber ist der Rhythmus, der neuzeitliche, der Taktrhythmus." (S. 487 ff)
Diese im Kontext des Buches durchaus schlüssige Erklärung erscheint mir gleichwohl unzureichend: Zum einen hat Bockelmann den Taktrhythmus ja nicht erstmals als für die bürgerliche Gesellschaft historisch spezifisch entdeckt, dieser Sachverhalt ist schon länger bekannt, sondern ihn mit der Geldvergesellschaft in Verbindung gebracht, eine nicht zu unterschätzende Leistung auch und insbesondere dies, aber eben nicht dieselbe. Und zum anderen, ich sagte es bereits: So einsam, wie Bockelmann zu sein glaubt, ist er nicht. Seit der späten Veröffentlichung der Werke Sohn-Rethels Anfang der 1970er Jahre ist die Diskussion über den Zusammenhang von Gesellschaftsform und Erkenntnisform nicht mehr abgerissen, auch wenn Sohn-Rethels Ansatz selber diesen Zusammenhang noch nicht wirklich nachweisen konnte. Da zumindest doch seither denkbar ist, was als Erster gedacht zu haben Bockelmann von sich fälschlicherweise annimmt, ist eher nach einer anderen, tiefer liegenden Ursache zu suchen, etwa dieser: Dass es mit der in Rede stehenden Denkform selber ebenso zu Ende geht wie mit der ihr zu Grunde liegenden Warenform.
In einer weiteren Hinsicht ist der Befund von Interesse, dass die Geldvergesellschaftung nicht nur das bewusste Denken, sondern noch vorbewusste Reflexe bestimmt, wirft er doch ein bezeichnendes Licht auf die Konstitution des modernen Subjekts:
"Ich will es einmal an dem beliebten Modell durchspielen, welches Freud zwar aufgestellt, selbst aber nur zurückhaltend gebraucht hat, nach dem Modell von Es, Ich und Über-Ich. Die Rhythmusempfindung müsste auf Grund ihrer unwillkürlichen Präsenz zweifellos zum Bereich des Es zählen, und ebenso sicher zum Bereich des Über-Ich die Anforderungen, durch die sich das Ich durchs Geld hinauf und hinab bis in seine feinsten und gröbsten sozialen Verhaltensmuster hinein gestellt sieht. Zwischen beiden Bereichen hätte das modellhafte Ich nun zu vermitteln und in dieser Vermittlung sich zu festigen. Wenn nun aber die Synthesis am Geld unmittelbar identisch ist mit der taktrhytmischen, so tritt auch jenes Über-Ich direkt und unvermittelt bereits im Es auf, wie immer es durchs Ich vermittelt dorthin gelangt sein sollte. Das Es bleibt also nicht, wie es gedacht war, Bereich der ursprünglichen Triebe, die im Ich erst in Richtung Über-Ich gemodelt würden, sondern es trägt in sich noch das Äußerste an Abstraktion, was dem Über-Ich nur entstammen kann. Das Über-Ich ist schon allhier im Es, die Struktur des Geldes im triebhaft-natürlichen Reflex. Der Ausgleich, den das Ich zu treffen hätte zwischen Es und Über-Ich, ist keiner mehr, da er längst besteht. Das Ich erarbeitet keinen Ausgleich, sondern ist kurzgeschlossen zwischen Polen, die einander vorweg ausgeglichen haben, die einander gleich sind und von denen das Ich gar keine Kraft und keinen Anlass mehr findet sich zu unterscheiden. So wird der Inbegriff von Außen, das Geld, zu einem Äußersten an Innen - unentrinnbar, umfassend, allüberall: im Es, im Ich im Über-Ich." (S. 239 ff, Hervorhebungen im Original)
Das sei allen ins Poesiealbum geschrieben, die ihre Berufung auf "Bauch", Unmittelbarkeit oder das "wirkliche Leben" bereits für einen Akt des Widerstands gegen das abstrakte Allgemeine halten.
Die zweite Hälfte des Buches befasst sich mit dem modernen Denken im engeren Sinne, und zwar in Gestalt der neuzeitlichen Naturwissenschaft und der durch das "Erkenntnisproblem" sich konstituierenden neuzeitlichen Philosophie, auch sie vom Zwang der "funktionalen Synthesis" des Geldes determiniert. Hinsichtlich der Naturwissenschaft gibt es viele Übereinstimmungen zu bestehenden Ansätzen, die genauer zu erörtern hier nicht der Platz ist (s. http://www.exit-online.org/html/schwerpunkte.php, Schwerpunkt Wissenschafts- und Erkenntniskritik): Die aus der Gesetzesförmigkeit der Warengesellschaft blind hervorgehende, daher aber vortheoretische Annahme, die Natur gehorche mathematischen Gesetzen, und die Charakterisierung des Experiments als Veranstaltung zum Zwecke der Herstellung (nicht der bloßen Beobachtung) von Gesetzmäßigkeiten:
"Das Experiment ist das Medium zur Verwandlung von Natur in Funktion. Der neuzeitlich veränderte Blick auf das empirisch Gegebene ist keiner der Betrachtung mehr, sondern dringt ein, um das darin zu finden, was er voraussetzen muss, das gesetzmäßige Verhalten." (S. 354, Hervorhebung im Original)
Nach :
Claus Peter Ortlieb
Eske Bockelmann: Im Takt des Geldes. Zur Genese modernen Denkens, zu Klampen, Springe 2004

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