Zur ökonomischen Krise hat der Kulturbetrieb eine unüberschaubare
Menge an Büchern ausgestoßen. Bei aller scheinbaren Vielfalt haben diese
Bücher eine ideologische Zielsetzung gemein: Das systemimmanent
Unbegreifbare, die Krise des Kapitals, mit der kapitalistischen
Ideologie in Einklang zu bringen. Ob es nun gierige Banker, unfähige
Manager, korrupte Politiker oder faule Ausländer sind; so ziemlich alles
wird verantwortlich gemacht – nur nicht das Kapital.
In dieser Überproduktion von Sachbuchmüll gehen die wenigen
lesenswerten Beiträge unter, die sich bemühen, die systemischen Ursachen
offenzulegen, anstatt diese vermittels populistischer Bankerschelte und
verkürzter Kapitalismuskritik zu verschleiern. Zu dieser seltenen
Lektüre-kategorie zählt das Buch »Die große Entwertung«, das Ernst
Lohoff und Norbert Trenkle im Unrast Verlag vorlegten. Als Mitglieder
der Gruppe Krisis haben sie schon mit der Systemkrise des Kapitals
beschäftigt, als deren Erwähnung von den meisten Linken noch müde
belächelt und als Apokalyptik abgetan wurde.
Dabei gelingt es Lohoff/Trenkle im ersten Abschnitt ihrer rund 300
Seiten starken Monographie, auch dem unbedarften Leser zumindest ein
grundlegendes Verständnis der Widersprüche der Kapitalverwertung zu
vermitteln, die nach Ansicht der Autoren das gesamte kapitalistische
Weltsystem an eine »innere Schranke« seiner Entwicklungsfähigkeit
treiben: Obwohl Lohnarbeit die Substanz des Kapitals bildet, strebt das
Kapital zugleich danach, die Lohnarbeit möglichst weitgehend durch
Rationalisierung aus dem Produktionsprozeß zu verbannen. Dieser
»prozessierende Widerspruch« des Kapitalverhältnisses könne nur in der
fortwährenden Expansion aufrechterhalten werden, indem also neue
Verwertungsfelder erschlossen werden. »Insofern befindet sich der
Kapitalismus in einem permanenten Wettlauf mit sich selbst«, resümieren
Lohoff/Trenkle diese Dynamik, die sie anschließend für den
Nachkriegsboom und die Epoche der dritten industriellen Revolution seit
den 1970er Jahren nachzeichnen.
So weit, so altbekannt: In diesem Abschnitt – der auch als Einführung
in die Wertkritik gelesen werden kann – fassen die Autoren die
Grundlagen ihrer Krisenanalyse zusammen und unterlegen sie mit
empirischem Material. Spannend, und auch für einen erweiterten
Leserkreis von Interesse, dürfte die anschließende theoretische
Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Fiktiven Kapitals sein, das ja
auch innerhalb der linken Krisendiskussion bislang eine eher marginale
Rolle spielte.
Der von Marx eingeführte Terminus des Fiktiven Kapitals erfaßt die
substanzlose Kapitalakkumulation in der Finanzsphäre, bei der die
Vervielfältigung von Wertpapieren unterschiedlichster Art den Anschein
erweckt, eine Kapitalverwertung jenseits der Lohnarbeit sei möglich. Bei
der Entstehung von Fiktivem – also letztendlich substanzlosem – Kapital
wird der Traum eines jeden Kapitalisten scheinbar Realität: Geld heckt
durch reine Selbstvermehrung weiteres Geld, ohne sich in die Niederungen
der Warenproduktion begeben zu müssen. In einem historischen Exkurs
bemühen sich Lohoff/Trenkle, die zunehmende Dominanz des Fiktiven
Kapitals innerhalb der Kapitalverwertung aufzuzeigen, das inzwischen zu
einem letzten zentralen Stützpfeiler des Kapitalismus avancierte. Für
die Autoren ist das Kapital bereits größtenteils fiktiv. Dieser auf den
Finanzmärkten in absurde Dimensionen getriebene spekulative Turmbau zu
Babel müsse aber letztendlich in einer »Großen Entwertung«
zusammenbrechen.
Aufbauend auf diesen Ausführungen plädieren die Autoren in einem
abschließenden Resümee, bei den Kämpfen und Protesten gegen die
Krisenpolitik bewußt die Frage der Finanzierbarkeit zu ignorieren und
statt dessen die konkrete Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse ins
Zentrum der Argumentation zu stellen – die nur noch jenseits des
Kapitalismus realisierbar sei. Die Produktivitätspotentiale, die der
Kapitalismus selbst hervorgebracht hat, seien, so die Autoren, nicht
mehr kompatibel mit dessen abstrakten Selbstzweck der Wertverwertung.
Ihre Folgerung daraus lautet: »diese Gesellschaft ist zu reich für den
Kapitalismus«.
Ernst Lohoff/Norbert Trenkle (Gruppe Krisis): Die große
Entwertung – Warum Spekulation und Staatsverschuldung nicht die Ursache
der Krise sind. Unrast Verlag, Münster 2012, 304 Seiten, 18 Euro
Aucun commentaire:
Enregistrer un commentaire