Auch die radikale Gesellschaftskritik kommt nicht umhin, sich im Medium der Sprache zu artikulieren. Ist die herrschende Sprache aber immer schon die Sprache der Herrschenden, im Zeitalter der „subjektlosen Herrschaft“ (Robert Kurz) der Abstraktion also die Sprache, welche absieht von ihrem je geschichtlich bestimmten Herrschaftscharakter – die abstrakte Sprache, Sprache mithin, die absieht von dem (vor allem historischen) Inhalt dessen, was zu artikulieren sie vorgibt, dann hat die Kritik durchgehend zu reflektieren, mit welchem „Material“ sie hier umgeht und mit welchen Fußangeln und Fallstricken sie dabei rechnen muss. In Sprache drückt sich Bewusstsein aus, weshalb kritisches Bewusstsein nicht umhin kommt, der herrschenden Sprache immer wieder Gewalt anzutun, um nicht umgekehrt ihrer Gewalt und damit der Herrschaft anheim zu fallen.
Man kontaminiert sich gewissermaßen mit dem Gift der allgegenwärtigen Abstraktion, so hat es der etwas abseitige Philosoph Emile M. Cioran einmal ausgedrückt, „wenn man die Sprache nicht foltert, wenn man sie nicht zermalmt.“1
Im Zusammenhang des wertabspaltungskritischen Denkens sind die Schwierigkeiten bekannt, die sich ergeben, wenn ein theoretisch entwickelter Gedanken in die passende sprachliche Form gebracht werden muss. Einzelne Wörter schon können hier zum Problem werden. Man denke etwa an die Bredouille, in die wir immer wieder mit dem Wort „Gesellschaft“ geraten, wenn wir uns auf vormoderne Verhältnisse beziehen, theoretisch aber begriffen haben, dass von „Gesellschaft“ vormodern eigentlich nicht die Rede sein kann.
Eine ganze Reihe weiterer Beispiele könnte angeführt werden. Ich konzentriere mich in den folgenden Ausführungen indes auf einen der zentralen Begriffe kritischer Theorie, nämlich den der Emanzipation, der mir zunehmend mehr Schwierigkeiten bereitet.
Es scheint mir schlicht nicht angemessen zu sein, weiterhin von emanzipatorischer Theorie usw. zu sprechen, wenn gleichzeitig klar ist, dass der Begriff der Emanzipation vom Beginn seiner Entstehung an ein Herrschaftsbegriff war, woran sich m.E. bis heute nichts geändert hat. Emanzipation, der Herkunft des Wortes nach, bezeichnet nämlich zunächst keineswegs einen Akt der Selbstbefreiung, sondern einen Akt der Freilassung, nach dem römischen Recht sowohl die Entlassung von Sklaven als auch die des erwachsenen Sohnes (Zu prüfen wäre, welche Rolle in diesem patriarchalischen Zusammenhang die Töchter spielen und ob es ähnliche Freilassungsrituale auch bei ihnen gegeben hat) aus der väterlichen Gewalt. Die Angelegenheit vollzog sich in der Art eines Rituals, welches in einem bekannten religionswissenschaftlichen Nachschlagewerk wie folgt beschrieben wird: „Die Emanzipation ging in der feierlich-komplizierten Form eines dreimal wiederholten Scheingeschäftes2 vor sich, durch welches der junge Mann zunächst der Sklaverei unterworfen wurde (mancipatio), aus der ihn der (fiktive) Dienstherr in der vom Recht vorgeschriebenen Form freizulassen hatte (manumissio).“3 Emanzipation bedeutet hier also Entlassung aus persönlicher Abhängigkeit, welche definiert ist als erneute Unterwerfung, und zwar unter das Gesetz der herrschenden Ordnung. Sie bezeichnet also, und dies ändert sich auch im weiteren geschichtlichen Verlauf nicht, den Prozess der Entpersönlichung von Herrschaft, der später, vor allem im bürgerlichen Bewusstsein, als ein Prozess fortschreitender Befreiung missdeutet wird.
Wer immer seit dem Beginn des bürgerlichen Zeitalters sich emanzipiert, wird befreit von alten Abhängigkeiten, nicht zu freier Tätigkeit, befreit sich also nicht selbst, sondern wird entlassen in die Wert-Freiheit, und zwar auf die doppelte Art und Weise, dass die alten „Werte“ persönlicher Herrschaft entwertet werden, um die „Freiheit“ der schrankenlosen Verwertung des Werts immer reiner sich vollziehen zu lassen. Inmitten dieses Geschehens und durch dieses hindurch ist es einzig das Kapital als gesellschaftliches Verhältnis und „automatisches Subjekt“ selbst, das sich tatsächlich „befreit“, nämlich in wachsendem Maße und mit immer größerer Beschleunigung von seinen stofflichen Grundlagen und den es tragenden konkreten Menschen, die immer deutlicher sichtbar aus ihrem sozialen Dasein in das Nichts der leeren Selbstzweckhaftigkeit des sich verwertenden Werts hinein emanzipiert werden. Die geschlechtliche Abspaltung bleibt in allen ihren sich geschichtlich wandelnden Erscheinungsformen die „andere Seite des Werts“ und charakterisiert solchermaßen die kapitalistische Gesellschaft insgesamt nicht nur als ökonomische Formation, sondern zugleich immer auch als „Zivilisationsmodell“ (Roswitha Scholz)4, innerhalb dessen sich die Menschen fortschreitend von alten Abhängigkeiten und Bindungen befreien, um insgesamt „immer rückhaltloser den Ausdruck der Ware“ (Walter Benjamin) anzunehmen, wobei alles Abgespaltene, das gegen die umfassend wertförmige Zurichtung sich sperrt, zugleich von dieser beherrscht und in Dienst genommen und/oder als „minderwertig“ ausgesondert wird, ohne jedoch in dem solchermaßen „in sich gebrochenen Formprinzip der gesellschaftlichen Totalität“5 restlos aufzugehen, weil eben der Wert und das von ihm Abgespaltene zwei Seiten desselben Verhältnisses darstellen, die weder getrennt noch in ein Verhältnis von Ursache und Wirkung gepresst werden können.
Emanzipation im modernen Sinne des Wortes bezeichnet so das Heraustreten aus dem Schatten der Relikte vormoderner Abhängigkeitsverhältnisse und den Eintritt in die Leere der modernen Subjektform des MWW. In diesem Zusammenhang ist m.E. die Frage zu klären, ob bzw. inwieweit die Abspaltung als ein historischer Gestaltwandel dieser persönlichen Abhängigkeitsverhältnisse betrachtet werden kann. Die Einbeziehung der Frauen in die Sphäre der Verwertungsrationalität und ihr gleichzeitiges Verwiesensein auf den Bereich der verwertungsrational nicht erfassbaren Reproduktionssphäre flexibilisiert und „versachlicht“ sozusagen die Abhängigkeit insofern, als hier die gesellschaftliche „Natur“ der Abspaltung als eine „dem Menschen“ schlechthin zukommende Lebensweise erscheint.
Das emanzipierte Subjekt ist das der modernen Subjektform geschichtlich schrittweise sich angleichende Subjekt, das in einem unsäglich brutalen Prozess der Zurichtung für die Verwertung verbogene und zur spezifisch wertförmigen „Freiheit“ verdammte Subjekt. Seine Freiheit besteht in seiner „Verrohstoffung“ (Günter Anders), in der Degradierung zum „Menschenmaterial“ oder - vornehmer ausgedrückt - „Humankapital“, wobei die weiblich bestimmten abgespaltenen Momente gewissermaßen das notwendige innere Ärgernis des Gesamtverhältnisses darstellen, weil sie die Unmöglichkeit der Abschließung zur gleichsam runden, restlosen, in sich aufgehenden Totalität dieses Verhältnisses repräsentieren, weil es ohne sie nicht bestehen könnte und umgekehrt.
Aus diesem Grund darf der Subjektbegriff auch nicht gleichgesetzt werden mit dem Begriff der Individualität im Sinne von Einzigartigkeit, welche in der Subjektform ja gerade tendenziell verschwindet, ohne ihrerseits wieder jemals gänzlich in ihr aufgehen zu können.
Ich denke, dass aus diesem Nicht-aufgehen-können, aus der in sich gebrochenen Totalität des Wertabspaltungsverhältnisses (vgl. Roswitha Scholz) auch das Leiden erwächst, und zwar sowohl am je eigenen Waresein (z.B. am Suchtcharakter des Konsumidiotismus oder der grassierenden Wohlstandsverwahrlosung der Geldsubjekte) als auch am Ausgeschlossensein aus dem Verwertungsprozess (z.B. Arbeitslose, die umgekehrt daran leiden, nicht Ware sein zu dürfen) oder an beidem zugleich in der „doppelten Vergesellschaftung“ der Frauen, die sozusagen mit einem Bein in der Verwertung stehen, mit dem anderen im abgespaltenen reproduktiven Bereich.
All dies gilt darüber hinaus in gleichem Maße für die Versuche, dieses Leiden im Streben nach identitärer Selbstvergewisserung zu überwinden, sei es als schrankenlose Selbstverwertung der Karrieremenschen oder als Idyllisierung privater Rückzugsräume, denn es gehört zum Wesen des Widerspruchs, dass er sich als zersägter, also in der Verabsolutierung einer seiner Seiten, als ganzer umso wirksamer durchsetzt und seine Zersäger umso nachhaltiger trifft, je intensiver diese sich der Illusion hingeben, ihm entflohen zu sein. Freiheit scheint in der Form der Freiheit schlicht nicht möglich, und Emanzipation nur denkbar als eine in diese Form hinein sich auflösende Bewegung einer letztlich zur völligen Inhaltsleere tendierenden Identität, in welcher das Nichts der gesellschaftlichen Realabstraktion zu sich selber zu finden droht. Werden Emanzipation und Freiheit aber auf diese Weise negativ bestimmt, dann hilft es weder weiter, sich zum Zweck der Überwindung des gesellschaftlichen Zwangsverhältnisses auf das Nichtidentische Adornos zu berufen, noch findet sich ein Ausweg im Anything goes postmoderner Freiheitsduselei à la Ulrich Beck, dessen „Kinder der Freiheit“ sich mit dem wachsenden Krisendruck ohnehin zunehmend in „Kinder des Chaos“ verwandeln, indem sich das von Beck beschworene sozialstaatlich abgepufferte luxuriöse Elend immer deutlicher in manifestes Elend verwandelt.
Übrig bleibt einzig die radikale Kritik am gesellschaftlichen Formprinzip selbst und damit der bedingungslose Abschied von der Form der Freiheit und Emanzipation insgesamt. Gerade das werabspaltungskritische Denken muss sich von den durch und durch aufklärerisch besetzten Begriffen Freiheit und Emanzipation verabschieden und darf nicht vor dem radikalen kategorialen Bruch zurückschrecken. Wertabspaltungskritik ist wesentlich Kritik der hohlen Formen, welche die traditionelle Kritik nie verlassen hat, um – wie z.B. im Traditionsmarxismus – das die Gesellschaft bereits bestimmende Prinzip in seinen sich auf der Oberfläche zeigenden Auswirkungen nur zu „verbessern“.
Die traditionelle Kritik entnahm ihre Maßstäbe immer und durchgehend dem Kritisierten selbst, und auch die Wertabspaltungskritik kommt nicht umhin, dies auf ihre Weise zu tun, denn sie schwebt nicht im luftleeren Raum über der Gesellschaft. Gleichwohl sollte sie sich der folgenden abgewandelte Form der bekannten 11. Feuerbachthese von Marx gegen alle Widerstände verpflichtet fühlen:
Die Kritiker wollten das Subjekt nur auf verschiedene Art befreien. Es kömmt darauf an, es zu überwinden!
Anmerkungen:
2 Es scheint mir fragwürdig, ob hier wirklich von einem „Geschäft“ gesprochen werden kann. Im Blick auf die hier zur Verhandlung stehende Zeit ist wohl das Wort „Ritual“ angemessener.
3 RGG: Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, in Gemeinschaft mit Hans Frhr. v. Camphausen, Erich Dinkler, Gerhard Gloege und Knut Løgstrup herausgegeben von Kurt Galling (7 Bände), Tübingen 31986, Band 2, 450
4 Vgl. Roswitha Scholz, Neue Gesellschaftskritik und das Problem der Differenzen. Ökonomische Disparitäten, Rassismus und postmoderne Individualisierung. Einige Thesen zur Wert-Abspaltung in der Globalisierungsära, in EXIT! Krise und Kritik der Warengesellschaft, hrsg. vom Verein für kritische Gesellschaftswissenschaften e.V, Heft 1, Bad Honnef 2004, 17 ff
Aucun commentaire:
Enregistrer un commentaire