dimanche 3 juillet 2011

Das Subjekt – Thesen zum fetischistischen gesellschaftlichen Handeln

 1.

Gesellschaftliches Handeln ist Handeln, das auf den Bestand der Gesellschaft bezogen ist und von ihm, diesem Bestand, abhängig. Es ist also Handeln, das in letzter Instanz von der Gesellschaft selbst ausgeht, von ihr sanktioniert wird und ihr selbst zu Gute kommt. Die Träger dieses Handelns sind also Repräsentanzen dieser Gesellschaft, sie handeln nur bedingt durch gesellschaftliche Ziele, die sie sich zu Eigen machen – einen Betrieb zu gründen ist also nicht nur Sache einer persönlichen Rechnung, zum eigenen Überleben angestellt, sondern auch Sache der Bestätigung des Bestands der Gesellschaft; des Bestands nicht nur des konkret wahrnehmbaren Gesellschaftskörpers, der Institutionen, sondern und vor allem auch der Legitimationen und Übereinkünfte, der Ideologien also.
            Wer in diesen gesellschaftlichen Zusammenhängen handelt, muss eine Form annehmen, die dieses gesellschaftliche Handeln ermöglicht und ihm gerecht wird. Dazu müssen diese gesellschaftlich Handelnden die Gesellschaft an sich selbst abbilden.

2.

An den Handelnden bildet sich die Gesellschaft ab sowohl in ihrem Bestehen als auch in ihrem Entstehen, das heißt, sowohl in ihrer aktuellen Verfasstheit als auch in ihrer Konstitutionsgeschichte. Gesellschaftlich Handelnde bringen also in ihrem Handeln die grundlegenden Merkmale und Eigenschaften dieser Gesellschaft zum Vorschein und Ausdruck – vor allem die Art und Weise, wie der soziale Zusammenhang in dieser Gesellschaft hergestellt und erhalten wird. Marx verweist in seiner Gesellschaftskritik, indem er die Methode der Kritik der politischen Ökonomie entwickelt und anwendet, darauf, dass sich der gesellschaftliche Zusammenhang dadurch herstellt und diese Herstellung dadurch geprägt ist, dass einer gesellschaftlichen Produktion eine private Aneignung der Ergebnisse dieser Produktion gegenüber steht.
            Das Interessante daran ist, dass die genauere Betrachtung dieser Aussage darauf hin weist, dass ein gesellschaftlicher Zusammenhang also gleichzeitig zerstört und hergestellt wird oder, anders gesagt, erst in diesem gleichzeitigen Herstellen und Zerstören von gesellschaftlichen Beziehungen besteht. Dabei ist aber, was Marx gesellschaftliche Produktion nennt, nicht gesellschaftlich im Sinne einer von den beteiligten Leuten getroffenen Übereinkunft, gesellschaftlich also im wahreren Sinne des Wortes, sondern hier wird gesellschaftlich als ein fixiertes Verhalten der Menschen vorausgesetzt (im Sinne eines ontologisch verstanden zoon politicon), das erst erlaubt, quasi als natürliche Ressource genutzt zu werden.
            Marx erklärt diese spezifische Form der Nutzung, also das Erzwingen einer gesellschaftlichen Produktion unter der Voraussetzung, dass die Ergebnisse dieser Produktion privat angeeignet werden; damit, dass diese Produktionsweise (wie er das nennt, was ich Gesellschaft nenne; und beide Bezeichnungen greifen zu kurz) auf einem Gewaltverhältnis fußt, das nicht nur die private Aneignung möglich macht, sondern auch das Zwingen in ein Arbeitsverhältnis (denn als Arbeit erscheint nun diese spezifische Form gesellschaftlicher Produktion). Das, so Marx, sei ermöglicht worden durch die gewaltsame Trennung der Produzenten von ihren Produktionsmitteln.
            Erst diese Trennung macht ein Verhalten logisch und erklärlich, in dem Leute das Vermögen, tätig zu sein (also ihre Arbeitskraft), als etwas Spezifisches, von sich Gesondertes betrachten, zur Ware machen und verkaufen. Und dieses Verkaufen erlaubt es ihnen dann aber auch, so zu tun, als hätte nun das Ingangsetzen dieser Arbeitskraft mit ihnen nichts mehr zu tun. Stolz unterscheiden sie sich vom antiken Sklaven oder vom leibeigenen Bauern, die selbst körperlich sich selbst nicht gehörten, dafür aber wohl Produktionsmittel ihr eigen nennen konnten. Der moderne Arbeiter hingegen gehört sich körperlich selbst und ist hinfort selbst dafür verantwortlich, wie er in eine Gesellschaft Eingang findet, in der für sein Fortkommen er selbst zu sorgen hat. Das tut er mit dem Verkauf des Vermögens Arbeitskraft und vollzieht so noch einmal die Trennung von den Produktionsmitteln an seiner eigenen Person.

3.

Wenn nun gesellschaftliche Produktion in diesem Zusammenhang von vornherein bloß als das ontologische, fixierte Zusammensein, das Auftreten in Verbänden, das natürliche Verhalten und der Rohstoff der „gesellschaftlichen Ressource“ ist, gilt dies nicht nur für die vereinzelten, von Produktionsmitteln getrennten „Proletarier“, die nun in Arbeitsverhältnisse eintreten. Dies tun sie zwar massenhaft und unter dem offenen oder verdeckten Zwang von Verhältnissen und Herrschaft, aber jeweils auf eigene Rechnung, auch wenn diese Rechnung von Zusammenschlüssen und Übereinkünften wie Klassen, Parteien, Konsumgenossenschaften oder Gewerkschaften präsentiert wird.
            Gleiches gilt für die, die nun als „Bourgeois“ in die Gesellschaft eintreten. Sie „benutzen“ eine conditio humana, den Drang (oder Trieb, um in der bürgerlichen Terminologie zu bleiben) zu gemeinschaftlichem Leben, zu gemeinschaftlichen Unternehmungen, zur Herstellung von Produkten, die sie sich dann gewaltsam aneignen (gewaltsam durch neue, bislang unerhörte Gesetze oder durch deren Internalisierung, die diese Gewalt als logisch, vernünftig und nicht gewaltsam erscheinen lässt). Sie gleichen aber den Proletariern insofern, als sie ebenso auf eigene Rechnung in das Geschäft eintreten; sie unterscheiden sich in ihren Äußerungen über sich selbst. Während sie von sich behaupten, mit ihren Streben nach persönlichem Glück und Erfolg das Glück und den Erfolg aller anzustreben und zu garantieren, behaupten die Proletarier von sich, dass es ihre Produktivität sei, ihr Fachwissen, ihre Kompetenz und Erfahrung, die ebendieses Glück und ebendiesen Erfolg der ganzen Gesellschaft ausmachen.
            Wenn diese Äußerungen verschiedene Arten von Standes- und Klassenbewusstsein zum Ausdruck bringen, verwischen und camouflieren sie gleichzeitig die Gemeinsamkeiten. Da ist als erste die, dass alle unter dem Druck der gesellschaftlichen Verhältnisse auf eigene Rechnung handeln und unter der ideologischen Rechtfertigung, dass dies allen zu Gute käme – irgendwie. Weiters haben wir es mit der Trennung von den Produktionsmitteln zu tun, die in gleichem Maße für alle Beteiligten gilt. Gerade wenn gesellschaftliche Produktion, allgemeingültig gesehen Gesellschaftlichkeit, Gemeinsamkeit, als Rohstoff betrachtet wird, steht er nicht mehr zur Verfügung. Wenn eine Gesellschaft einen Teil ihrer Mitglieder zwingt, ihr Arbeitsvermögen zu verkaufen, bedeutet dies, dass dieses Arbeitsvermögen nicht mehr umsonst (oder wenigstens nicht um den Preis der Garantie persönlicher Fürsorge und Beziehung und Angehörigkeit) zur Verfügung steht. Von diesem Produktionsmittel ist also die Bourgeoisie getrennt durch dieselben Vorgänge, die das Proletariat von seinen (vormaligen, agrarischen oder handwerklichen) Produktionsmitteln trennt.
            Gleichermaßen entfalten Arbeitskraft, Rohstoffe, Lebensmittel, etcet. gegenüber Proletariat und Bourgeoisie ein Eigenleben insofern, als sie sich gegenüber den Leuten entzogen halten und erst durch Kauf und Verkauf in Gang gesetzt, konsumiert, verwendet werden können. Nicht umsonst spricht Marx davon, dass Kapital „vorgeschossen“ wird, um dies oder jenes zu tun – wir sehen, dass die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel keinen großen Unterschied zwischen Proletariat und Bourgeoisie ausmacht. Im Gegenteil und im Licht der Abstraktion durch die Lupe der Gesellschaftskritik betrachtet, stehen beide, Proletarier und Bourgeois, mit nichts da als sich selbst. Was aber in den vergangenen Gesellschaftsformationen einem Todesurteil gleichkam, nichts zu haben, als sich selbst, vogelfrei zu sein, das ist nun erst der Eintritt in die Gesellschaft, in der wir leben. Wir nennen, diese Leute, die nichts haben, als sich selbst, von allem getrennt sind und jeden Bezug erst durch Kauf und Verkauf herstellen müssen, die mit nichts als sich selbst den gesamtem gesellschaftlichen Bezug herzustellen sich anschicken, Subjekte.

4.

Als Subjekte treten in der Gesellschaft alle Leute auf, aber nicht notwendigerweise immer nur als Individuen. Schon Marx hat darauf hingewiesen, dass der moderne Bürger in zwiefacher Gestalt auf uns kommt, als citoyen wie als bourgeois (hier ist es schon falsch, vom Individuum – vom Ungeteilten – zu reden, und Günther Anders spricht auch folgerichtig vom modernen Menschen als Dividuum). Dabei geht es nicht nur um verschiedene Tätigkeiten, die der eine wie der andere (als derselbe) ausführt und ausübt, es geht auch um verschiedene Zugehörigkeiten, einmal zur Klasse, das andere mal zum Staat. Was Marx aber in diesem Zusammenhang verschweigt (weil es nicht unbedingt sein Thema war), dass sich sowohl Klasse als auch Staat als Subjekte konstituieren.
            Wenn wir die Konstitution von Subjekten betrachten, so müssen wir dies unter zwei Gesichtspunkten tun. Einmal betrachten wir die entwickelten, ausgebildeten Zustände der Gegenwart, unserer Zeit, unseres Raums, unserer Gesellschaft, zum anderen betrachten wir den historischen Prozess, der zu diesem entwickelten, ausgebildeten Zustand geführt hat, den ich gerne „Modernes Ensemble“ nenne.
            In diesem Prozess also konstituieren sich gesellschaftlich Handelnde als Subjekte, das heißt, sie machen sich daran, mit nichts anderem als sich selbst, eine neue Welt zu gründen, die wir dann Gesellschaft (des modernen Ensembles) nennen. In diesem Zusammenhang möchte ich auf die Homepage „http://theory-in-progress.lnxnt.org“ verweisen, wo Petra Haarmann in ihrem Artikel (s. Fußnote 8) „Bürgerrecht auf Folter“ davon spricht, dass recht eigentlich nur unsere gesellschaftlichen Zustände, nur unsere Formation die Bezeichnung Gesellschaft verdient. Dieser Konstitutionsprozess aber geht von einigen europäischen Fürstenhöfen aus, an denen sich die Intelligenz der damaligen Zeit (wir sprechen von der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, als dieser Prozess, der den Namen Aufklärung annahm, schon manifest im Gange war; seine Anfänge mögen bis in das sechzehnte Jahrhundert reichen, aber chronologische Feinheit ist jetzt nicht Thema dieses Aufsatzes) versammelt hatte, aber über die Höfe hinweg etwas Neues geschaffen hatte, nämlich Öffentlichkeit.
            Diese Öffentlichkeit entstand also als Gelehrten- und Philosophenkorrespondenz und war männlich ausgerichtet, insofern als sie Traditionen und Wurzeln und Bezüge auf die Versammlung der freien Männer (der Krieger, der Stämme, der gentes, des Kronrats, des Heerbanns, etcet.) sich zu Eigen machte. Außerdem und gleichzeitig war sie etwas Neues insofern, als sie sich nicht mehr an die Beziehung der Freien und Verwandten untereinander richtete, sondern explizit und ausgesprochen gegen sie – Freiheit und Verwandtschaft wurden neu definiert und als Emanzipation gegen die Fürsten in der Form der Menschenrechte ausgesprochen und propagiert.

5.

Die Konstitution als Subjekt ist also von allem Anfang an verbunden mit Öffentlichkeit, und zwar mit einer Öffentlichkeit, die nicht mehr höfisch und verwandt ist, sondern auf einer Gleichheit beruht, und einer Emanzipation, die Freiheit neu definiert: nicht mehr als Freiheit des bewaffneten freien Manns, der eine Welt zu erhalten, zu garantieren und zu mehren hat, sondern als Freiheit des unbewaffneten Mannes, dem die Welt offen steht als Rohstoff für seine Unternehmungen. Unbewaffnet ist dieser neue freie Mann nur in ideologischer Darstellung, in seiner Selbstsicht. Dass zu seiner Unternehmung die banale Feuerwaffe nötig, verschweigt er. Lieber spricht er von den Waffen des Geistes, der Kritik und vom bewaffneten Auge – da meint er Fernrohr und Lupe als Metapher für die nun entstehenden Einzelwissenschaften, aber dass er sie mit Waffen gleichsetzt, ist ein eigenes Kapitel in der Durchsetzungsgeschichte.
            Bei der Definition seiner Unternehmungen wendet sich das Subjekt konkurrent gegen alle anderen; gegen seinesgleichen im Wettbewerb, gegen anderen, die nicht seinesgleichen sind, indem es ihnen Gleichheit und Freiheit abspricht. Erst müssen diese anderen einen Prozess der Emanzipation durchlaufen, in dem sie sich der Weihen bürgerlicher Gesellschaft als würdig erweisen. Und je mehr diese bürgerliche Gesellschaft – Geselligkeit – zu sich kommt, desto mehr verliert dieser Prozess der Emanzipation den Charakter der Initiation, der Geheimniskrämerei und Heimlichtuerei und gewinnt immer mehr bürgerlich öffentlich-politisches Verhalten, was den Emanzipationsprozess um nichts weniger heftig macht.
            Das bürgerlich-männliche Subjekt definiert dabei gegenüber einer ihm offen stehenden Welt, die es nur rohstofflich, als Lieferant von Rohstoff zu seinen Unternehmungen betrachtet, alle anderen als Bestandteil dieser rohstofflichen Welt. Das führt zum Ausschluss aller, die den ursprünglichen Emanzipationsprozess nicht mitgemacht haben. Dabei werden sie entweder bekämpft (Fürstenwillkür, grand corruption), als privat in Kauf genommen und für alles Nichtöffentliche zugerichtet (Frauen) oder als Bildungsmaterial betrachtet („Wilde“, die das Objekt des Bildungsauftrags sind – „the white man’s burden“), das erst zivilisiert werden muss; während Frauen und Nichteuropäer in vormodernen Verhältnissen noch durchaus als frei, verwandt, als Fürst oder Königin wahrgenommen wurden, werden ihnen diese Attribute mit der Definition des Adligen als korrupt, als feindlich ersatzlos aberkannt. Sie sind nun weder moderne Subjekte noch dem ancien régime angehörig. Andere Bevölkerungsschichten werden erst neu geschaffen und in einen Emanzipationsprozess hineingeführt. Hier ist die Rede von Arbeitern und Kindern.
            Dass die Arbeiter durch diesen Prozess hindurchgegangen sind und von der Klasse an sich zur Klasse für sich geworden sind, gehört zu den großen Erzählungen ebenso wie die emotionale Aufladung dieses Prozesses mit den Vorstellungen von einer besseren Welt. Gerade hier wird deutlich, wie die Subjektkonstitution als gesellschaftlicher Prozess zu sehen ist, der sich nicht auf Individuen beschränkt, der den emanzipativen Anspruch, eine neue Welt zu schaffen, zwanghaft wiederholt und der eben diesen emanzipativen Anspruch als eigene Unternehmung rechtfertigt.
            Was die Emanzipation der Kinder betrifft, so zeigen sich heute die Tendenzen zum Verlust der Kindheit sowohl in der entsprechenden entwicklungspädagogischen wie didaktischen Fachliteratur als auch im wirklichen Leben. Während etwa ein Markt für spezifische Kinderkleidung, Freizeitgestaltung, etcet. immer mehr fehlt und das Konsumverhalten schon der kleinsten Kinder an das der Erwachsenen angeglichen wird, gibt es gegenläufig dazu eine Tendenz der Verjugendlichung oder auch Verkindlichung, die altersgemäße Verhaltenszuschreibungen immer schwieriger macht; genannt sei hier als Beispiel das Girlie-Phänomen, das wirksam ist etwa im Zeitraum von vierzehn Jahren bis vierzig Jahren. Daneben kann auch ein Machogehabe unter Männlichen festgestellt werde, das ungefähr denselben Altersraum abdeckt und mit kriegerischen (nicht soldatischen!) Versatzstücken und Kulissen sich umgibt, was Kleidung, Haare, Tracht und Betragen betrifft. In beiden Fällen aber wird quer durch alle Altersstufen und unter Auflösung vormals entwicklungsbedingter oder entwicklungspsychologisch betrachteter Unterschiede eine Zwiegeschlechtlichkeit hergestellt, die sich auf ihre Sexualisierung beschränkt (unter billigender Inkaufnahme des Verlust von Erotik übrigens und unter den ideologischen Vorgaben und dem gouvernantenhaften Blick des gender mainstreaming, das für eine gerechte Verteilung von Freiheit und Gleichheit und Subjektivität zu sorgen hat).

6.

Die Emanzipation der Frauen stellt in der Konstitutionsgeschichte der modernen Subjekte einen eigenen, für das gesamte Moderne Ensemble wiederum konstitutiven Fall dar. Die Konstitutionsgeschichte des modernen Subjekts stellt sich als männliche Emanzipation dar, zeitlich erst seit historisch kürzester Zeit wirksam und in der Durchsetzungs- und Wirkungsgeschichte räumlich beschränkt auf Teile Westeuropas und noch kleinere Teile Nordamerikas (so ist es eigene historische Untersuchungen wert, warum die Ideen der Unabhängigkeit in den Englischen Kolonien Nordamerikas bloß auf einen kleinen Küstenstreifen beschränkt blieben). So genannte Wilde, denen vordem noch mit höfischem Zeremoniell begegnet werden konnte (aber auch nicht immer musste, das wurde quasi von Fall zu Fall entschieden), waren in der Welt der Moderne zunächst wegen ihrer räumlichen Beschränkung nicht vorhanden, und wenn doch, dann nicht konkret oder als Abstoßungspunkt einer neuen Definition unterworfen (der edle Wilde der Aufklärung, der bloß ein Bild der Aufklärung vom Menschen schlechthin war, oder der Faule, Unzivilisierte oder wenigstens nicht voll Entwickelte, Rückständige; dass etwa ein indischer, afrikanischer oder chinesischer Hofstaat als strukturell rückständig betrachtet werden konnte, ist eine Errungenschaft erst des Kolonialzeitalters, also ein vergleichsweise rezentes Phänomen).
            Die neue Weltordnung, als deren Handelnde nun die Subjekte (Individuen wie Verbände) auftraten, war zwar beschränkt genug, um Freie und Verwandte, also die Handelnden der religiösen Formation, sowie Nichteuropäer auszuschließen und Nichtintelligenz und Nichtsesshafte als Arbeitende neu zu definieren, dies konnte aber in Bezug auf die Frauen nicht gelingen. Ihre Rechte und Pflichten, wie sie durch das religiöse Zeitalter formuliert waren, sollten war nicht mehr gelten, aber ein Kampf gegen sie wie gegen die Fürsten war nicht möglich. In der neuen Ordnung wurde ihnen daher ein Ort zugewiesen, der eigentümlich schillernd war. Zum einen war er bezogen auf das Subjekt als neues gesellschaftlich Handelndes, dort aber von der Öffentlichkeit des Subjekts abgeschnitten und verwiesen auf den Raum und die Zeit, da der Mann seiner Subjektivität enträt; wo er ganz privat die Früchte seines öffentlichen Handelns genießt. So finden wir in der bürgerlichen Gesellschaft, in der bürgerlichen Geselligkeit ein neu definiertes Geschlechterverhältnis vor. Nun steht die Freie Frau nicht mehr einem Haus vor, sondern die Hausfrau organisiert das Repräsentieren gelungenen bürgerlichen Lebens. Dazu gehört dann auch, dass ihre äußerliche Schönheit in diese Repräsentanz eingeht, dazu gehört aber auch, dass sie in dieser Darstellung des – öffentlichen – Erfolgs des Manns verschwindet, denn die Darstellung gelungenen Lebens in Form einer gelungenen Unternehmung ist nicht die Unternehmung selbst.
            Schwangerschaft, Liebe, Betreuung, Sorge, Repräsentanz, all dies gilt nicht als Unternehmung, sondern der Schwangerschaft ähnlich als natürliche Ressource, als Rohstoff des Weiblichen. Will nun eine Frau in die bürgerliche Welt als Subjekt konkurrent mit eigener Unternehmung eintreten, so wird diese ihre Emanzipation sie nicht von den von der bürgerlichen Subjektkonstitution abgespaltenen Bereichen befreien. Sie wird sich der Frage ausgesetzt sehen, wie sie das mache als Arbeiterin, Unternehmerin, Politikerin, etcetin und als Mutter. Ist sie keine Mutter, folgt die Frage, ob das den Verzicht lohne. Es ist diese Frage, die es erlaubt respective erfordert, von Abspaltung zu sprechen, die weiblich konnotiert, und von Subjektkonstitution, die männlich konnotiert ist. Und es ist diese Konnotation, die auf eine Verweigerung der Bürgerrechte hinausläuft, auf ein Dementi der Menschenrechte und der ganzen guten neuen Welt, auf eine Einschränkung von Freiheit und Gleichheit sofort am Beginn der ganzen Veranstaltung; es ist auch diese Konnotation, die von der Abspaltung verlangt, dass sie das Subjekt hochhält und sich selbst dabei dementiert. Es ist genau das, was österreichische und deutsche Frauen dazu bringt, jede Stellungnahme mit „Ich bin keine Feministin“, einzuleiten, amerikanische mit „Ich bin eine Feministin“, und beide beklagen dieselben Beschränkungen und Verfolgungen. Die Emanzipation der Frauen, also ihr Eintritt in bürgerliche Öffentlichkeit, ist so immer prekär und immer von sich selbst bedroht, als sollten die Frauen nie wirklich Subjekte werden können oder dürfen.
            Hier am Beispiel der Frauen wird deutlich, wie sehr sich das einzelne Subjekt auf eine Handreichung stützen muss, die emotionales Unterfutter und emotionale Rechtfertigung und Unterstützung bietet und aus den Allmachtsphantasien der Subjekte und ihrer Unternehmungen etwas Einsichtiges und Vernünftiges macht. Gleiches gilt für die Konstitution als Großsubjekte. Auch sie treten zusammen mit ihrer Abspaltung auf, ihrer Abspaltung, die das emotionale Unterfutter bereithält und die durch ihre schiere Existenz das Subjekt sowohl dementiert wie erst möglich macht, nur mit ihm gemeinsam auftritt und sich selbst deswegen als Abspaltung sofort dementieren muss (um nicht die immanente Dementierung des Subjekts vollziehen zu müssen). So tritt der Staat nur mit seiner Nation auf (und tut alles doch nur für die Nation, wie der Ehemann alles nur für Frau und Kinder getan hat, wenn er sie auch schlug), die Klasse nur mit ihrer historischen Mission (auch dabei wird geschlagen) und so fort bis zu den Vereinen mit ihren Kulturgütern (die sie behüten – und wie?).
            Kein Staat also ohne Nation, kein Verein ohne Kultur, kein männliches Subjekt ohne weibliche Abspaltung. Aber das eine kann nicht transzendierend gegen das andere in Stellung gebracht werden – keine weiblichen Anteile vermögen die Männer zu einem besseren Welt hin zu retten, keine Nation kann die Staatlichkeit überwinden zu einer schöneren Welt.


7.

Im Folgenden soll es darum gehen, die Merkmale der Subjekte noch einmal nachzuzeichnen. Zunächst müssen wir festhalten, dass sich Subjekte konkurrent mit eigener Unternehmung konstituieren. Das tun sie auch dann, wenn es keine empirische Konkurrenz gibt, wie das Beispiel des Robinson Crusoe zeigt. Robinson verhält sich auf seiner (!) Insel ganz modern. Anstatt Gott zu danken (das tut er noch) und auf das nächste Wunder zu warten (das tut er nicht mehr), macht er sich daran, sich zu organisieren und beginnt seine Unternehmung konkurrent: Er muss ein besserer Mensch werden und das hat er sich dadurch zu verdienen, dass es ihm besser gehen muss. Ein Kalender soll diese Fortschritte festhalten. Diese Konstitution als konkurrent führt zu Widersprüchen, die das gesamte gesellschaftliche Leben ausmachen werden. Einerseits strebt das Subjekt nach Konkurrenzlosigkeit; das heißt, seine eigene Unternehmung kann nicht überboten werden auf Grund von Originalität, Qualität, auf jeden Fall, weil im Konkurrenzkampf gewonnen wurde, andererseits muss jedes Subjekt die Anwesenheit anderer genauso verfasster und berechtigter Subjekte anerkennen und damit rechnen.
            Dabei fehlt allerdings eine regulierende Instanz, die die Dinge an ihren Platz weist. (und wir sprechen hier nicht von Staaten, die sich einerseits selbst konkurrent konstituieren, andererseits mit je eigener Unternehmung und Entscheidung darüber, wie sie nun welchen Grad von Repression und Einflussnahme gerade auszuüben gedenken). Gott übernimmt diese Aufgabe nicht mehr und das Subjekt wäre zwar mit Allmacht ausgestattet, aber die Sache krankt daran, dass es zu viele Allmächtige gibt. Das führt nun dazu, dass gesellschaftliche Regulierungen nicht mehr in Form verbindlicher Handlungsanweisungen geschehen, sondern in Form von allgemeingültiger Ethik, die der Tatsache gerecht wird, dass hier die Allmacht im Plural auftritt. Wenn nun also die Leute die göttliche Kompetenz der Allmacht an sich gezogen haben, dann kann ihre Anweisung zum Handeln nur die Form des Kategorischen Imperativ annehmen, der einerseits der Allmacht Rechnung trägt (Jedes Handeln ist vorbildlich und handlungsanleitend für das Handeln aller anderen), andererseits die Konkurrenz zu ihrem Recht kommen lässt (Alle können ihre eigene Unternehmung als Maxime formulieren). Die Sache kann klarerweise nicht funktionieren, wenigstens nicht auf der Ebene moralischer Einsicht (nicht weil die Leute nicht gutwillig genug wären, sondern weil sie vor lauter Nachdenken nicht zum Handeln kämen), und so bringt Schopenhauer eine Generation später mit seinem Stachelschweingleichnis schon so etwas wie selbstregulierende Naturkräfte für das Zusammenleben in s Spiel. Einige Generationen früher allerdings hat Hobbes schon ausgedrückt, dass es nicht klappen würde, allerdings mit dem, was später Pessimismus (auch eine Form philosophischer Unternehmung, denn erst als Subjekt ist der Mensch frei, die Welt nach seiner Sicht subjektiv zu interpretieren) genannt würde: „Der Mensch ist der Wolf des Menschen.“
            Aus dieser Sicht entsteht auch der doppeldeutige Charakter des Begriffs „Subjektivität“. Einerseits ist mit Subjektivität jede Garantie ausgesprochen, der gesellschaftlich Handelnde teilhaftig werden können, womit auch die Freiheit neu definiert ist: Es ist die Freiheit der Meinung, der Religion, der Rede, der Veröffentlichung, alle ausgesprochen mit der ihr eigenen Konsequenzlosigkeit: „Sag und tu ungestraft, was Du willst, es hat keine Folgen.“ Andererseits wird mit Subjektivität auch ausgedrückt, dass das Eigene auf sich selbst beschränkt bleibt, was immer auch über die segensreichen Auswirkungen subjektiven, verantwortlichen Handelns für sich selbst und andere gesagt wird. Hier kommt das Objektive in s Spiel, das nun dafür zu sorgen hat, dass das subjektive Handeln auch segensreich werden kann (natürlich unter Beachtung des Kategorischen Imperativs) wieder mit einer Neudefinition der Freiheit, nun als Einsicht in die Notwendigkeit.

8.

Subjekte beachten, dieser Konkurrenz folgend, eine Hierarchie in der Subjektwerdung und der dafür erforderlichen und damit verbundenen Emanzipation. Dies führt dazu, dass zwar die gesellschaftlichen Verhältnisse auch durch die Gewalt, die am Anfang unserer Ausführungen stand und bei Marx als Prozess der ursprünglichen Akkumulation beschrieben wurde, in der ganzen Welt durchgesetzt werden konnten, nicht aber die Subjektivität, die sich mit dieser Gewalt konstituierte. Von dieser Subjektivität ausgenommen sind in Westeuropa wenigsten teilweise die Frauen und die Juden; die Frauen, weil sie, wie oben besprochen, mit der alten Welt ihrer alten Rechte und Pflichte verlustig gingen, die neuen gesellschaftlich Handelnden sich aber konkurrent – zunächst gegen alles, was an religiöse Verhältnisse gemahnte – konstituierten und damit auch alle menschlichen Beziehungen neu gestalteten und definierten, auch die Beziehungen der subjektiven, europäischen Männer zu ihren Frauen. Die Juden wiederum gerieten in Konkurrenz zu den männlichen europäischen Subjekten, weil sie einerseits an der Subjektkonstitution der höfischen Intelligenz, der Aufklärung und der Entwicklung der Wissenschaften Anteil hatten, sich aber aus ihrer Tradition heraus nicht national organisieren konnten oder ein nationales Bekenntnis nicht akzeptiert wurde, die verwandtschaftlichen Bezüge in ihrem Weiterbestehen dem Vorwurf Nahrung boten, die Juden wären bloß Parasit an der modernen Zivilisation. Wobei zu beachten ist, dass dieser Vorwurf auf die nationale und nicht die staatliche Dimension abzielt, hier also die Abspaltung in ihrer Bedeutung für die Subjektkonstitution ganz massiv in s Spiel kommt.
            Die Gewalt, mit der das Subjekt die Welt betritt, ist im Vergleich zur religiösen Welt etwas Neues. Erstmals richtet sich diese Gewalt innerhalb der eigenen Verhältnisse gegen diese. Kriege und Kreuzzüge, noch Ketzerverfolgungen und Überfälle hatten einen quasi rationalen Gehalt, eine religiöse Berechtigung und strebten auch keine Vernichtung des bekämpften Gegenübers an. Die Gewalt ist nun allgegenwärtig und strukturell geworden, sie ist nicht mehr Sache der Einzelnen, die sie dazu anwenden, die gottgegebene Ordnung gottgefällig zu verwalten. Konnte ein König noch dafür gelobt werden (und alle strebten nach diesem Lob, Könige, Kaiser, Konsulen und Khane), dass die Wege in seinem Reich sicher waren, so ist dieses Lob für einen Bundeskanzler oder eine Ministerpräsidentin unvorstellbar. Die Gewalt dient nun nicht mehr der Sicherheit der Wege, dem Schutz der Witwen und Waisen, der Befreiung der Gefangenen (alles Dinge, für die heute niemand zuständig ist), sondern dem Aufrechterhalten der Bedingungen, unter denen ein sozialer Zusammenhalt durch Konkurrenz hergestellt wird. Um dieses Oxymoron zu erreichen, das noch dazu als das natürliche Verhalten des Menschen schlechthin, das Artgerechte des Gattungswesens gesehen wird (von Hobbes bis Desmond Morris, vom homo hominem lupus bis zum Raubaffen), ist es nur vernünftig, wenn die Leute sich unbewaffnet begegnen, sich jeder Herrschaft über andere enthalten, soweit sie nicht im institutionalisierten, ideologisch anerkannten Rahmen ausgeübt wird (solange also die Beherrschten nicht emanzipiert sind), und sich darauf beschränken, sich selbst und ihr Metier zu beherrschen. Die Garantie dessen wird dem Staat überlassen, der sich zu dieser Unternehmung wiederum als Subjekt konstituiert, in der politischen Konkurrenz darüber entscheidet, in welcher Art diese Garantie vollzogen wird, oder anders gesagt, wie und in welchem Maß die staatliche Repression ausgeübt wird, die nun gegenüber der untergegangenen religiösen Welt das Neue darstellt: War es vordem die Majestätsbeleidigung, die das höchste Verbrechen an der Gemeinschaft war, so ist nun der Bruch des Gewaltmonopols. An dieser Stelle ist dann auch die längst überfällige Bemerkung angebracht, dass wir für diesen Staat, für diese Gesellschaft nicht mehr von der subjektlosen Herrschaft oder Gewalt sprechen, bloß weil individuell feststellbare Verantwortlichkeiten fehlen (statt denen wird von Sachzwängen gesprochen). Wir sprechen von verallgemeinerter subjektiver Herrschaft, womit wir der Tatsache Rechnung tragen, dass sich diese Vergesellschaftung auf die durchgesetzte Selbstbeherrschung des Subjekts stützt, auf diese paradoxe Vernunft, die es erlaubt, ganz für sich zu sein und so gesellschaftliche Verbindungen herzustellen.
            Aber neben staatlicher Repression und Entwaffnung der Subjekte gibt es noch einen zweiten Ausweg, der inneren Widersprüchlichkeit der Subjektkonstitution zu entgehen. Das ist die Liebe. Auch sie war ehedem göttliche Kompetenz, und zwar so sehr, dass die Liebe mit Gott gleichgesetzt wurde. Aus dieser Liebe heraus ist auch das Erlösungswerk zu erklären („So sehr hat Gott die Menschen geliebt, dass er seinen einzigen Sohn ...“). Mit der Subjektkonstitution wird aber nicht nur die Allmacht und die Schöpferkompetenz Gott genommen und den Menschen, sofern sie als Subjekte agieren, übertragen (im Übrigen auch an die Natur, die ebenso schöpferisch dargestellt wird, wenn auch nicht selbstbewusst, wenn auch tot, aber immerhin als Rechtfertigung des Subjekts dient, dessen Natur es ist, so zu sein, wie wir es sehen, dessen gesellschaftliche Zusammenhänge natürlich sind, wogegen nicht verstoßen werden darf und so fort). Zunächst, bei einem sich abzeichnenden Verlust Gottes, reagierte die Religion noch darauf, dass nun nicht mehr Gott die Menschen liebt, sondern die Menschen ihrerseits nun Gott zu lieben hätten. Den Höhepunkt erreicht dies nach der Reformation in pietistischen Strömungen sowohl katholischer als auch evangelischer Provenienz.
            Mit der Subjektkonstitution aber wird die Liebe zum Vermögen, die Welt zu erhalten und zu retten und immer wieder herzustellen, gleichzeitig wird dieses Vermögen der Liebe zu etwas Natürlichem, das in der Frau gefunden wird und in Hinkunft ihre Stellung im neuen Geschlechterverhältnis der „Abspaltung“ in der Moderne, in der bürgerlichen Gesellschaft, in der kapitalistischen Produktionsweise findet. Nun ist die Liebe die natürliche Bestimmung der Frau und nimmt für sie die Form einer Bedrohung an ebenso wie eine Aufgabe, mit der sie in die bürgerliche Gesellschaft eintritt. Kannte die Welt vor der Moderne noch eine Unzahl von Lieben (von der Loyalität der Gattenliebe über hohe und niedere Minne bis zu ekstatischen Gemeinschaftserlebnissen), so gibt es jetzt nur noch die eine, wahre, die möglichst erfolgreich gestaltet werden muss und deren Scheitern mit den jeweils gültigen Sanktionen begegnet wird, einem Scheitern, das unausweichlich kommen muss insofern, als der göttliche Ursprung Unmenschliches verlangt, das in den meistens Fällen zu stiller Resignation im Sichvertragen reduziert wird, was aber nicht bedeutet, das die Subjekte, Männer wie Frauen, nicht mehr für die nächste große, wahre Liebe bereit wären und für diese Liebe ihr eigenes Leben auf s Spiel setzen.


9.

Zwar ist die Subjektivität durchaus ein Spiel mit der eigenen körperlichen Existenz als Einsatz, dennoch muss ich in dieser Darstellung darauf bestehen, dass das jeweilige Subjekt etwas vollkommen Abstraktes ist. So wir das Subjekt nicht mit dem Individuum verwechselt werden darf, das mir leiblich entgegen tritt und dabei subjektiv handelt uns ich verhält, so darf auch der Staat nicht verwechselt werden mit seinen – leiblichen – Institutionen, seinen Verwaltungsorganen, Solidarkassen, Unternehmern und Auftraggebern. Die Abstraktheit des Subjekts zeigt sich ja gerade an der Abwesenheit von namhaft und haftbar zu machenden Verantwortlichen. Verweist der für sein vorschriftsgemäßes Verhalten gescholtene Beamte auf die Regeln, die auf Vollzugsordnungen, die wiederum auf Verordnungen, die wiederum auf Gesetzen beruhen, die wiederum in der Verfassung ihre Deckung finden, und wenn er dann den gut gemeinten und staatsbürgerlich vollkommen korrekten Rat gibt, eine Bürgerinitiative zu gründen oder beim gewählten Abgeordneten zu antichambrieren, hat er den Beschwerdeführer nur auf sich selbst verwiesen (und auf den kategorischen Imperativ, ohne sich dessen gewahr zu sein.
            Ähnliches beschreibt Marlene Streeruwitz in ihrem letzten Roman, durch den sich jenseits der Handlung die Frage der Heldin nach angemessener Reaktion auf, was ihr widerfährt, zieht. Und siehe da, es kann ihr alles an jedem Ort widerfahren und dasselbe anderen und andere reagieren darauf anders und sie hätte auf dasselbe Zugestoßene noch gestern anders reagiert und es war immer angemessen oder nie. Und Ähnliches geschieht in der Tauschbörse1 soulseek im Internet, wo alle ihre Regeln selbst machen und sie verkünden und sie gelten und ein jedes ist besonders originell und alle sind gleich und verschieden.
            Nun ist dies aber kein Betriebsunfall der Subjektkonstitution, sondern deren Voraussetzung und von vornherein so angelegt, gemeint, gewollt und praktikabel. Schon die Freiheiten der Meinung, Presse, Rede, Versammlung sind darauf abgestimmt, die Öffentlichkeit nicht zu tangieren. Zwar kann gesagt werden, was da will, aber es hat keine Auswirkungen. Insofern bleibt es ungestraft und weiß von sich noch nicht einmal, dass es mit seiner leiblichen Existenz und Äußerung nur bestätigt, was als natürlich vorgegeben erscheint: dazusein, um niemanden zu stören und glücklich zu sein, unterworfen unter die Naturgesetze, die alles so weise eingerichtet haben. Und doch kommt auch diesem Zweck die Subjektivität in die Quere insofern, als das Subjekt ja auch danach strebt, in seinem konkurrenten Treiben als letztes überzubleiben und vereinsamt und vereinzelt die sich selbst versprochene Welt zu gewinnen. Dass dies auch und gerade für die Konstitution, das Auffinden und Namhaftmachen, das Treiben und Wesen des revolutionären Subjekts gilt, sei nur am Rande, aber warnend erwähnt.


10.

Aus dem bisher Gesagten ergibt sich grosso modo eine chronologische Hierarchie für das Moderne Ensemble. Die Konstitution als Subjekte schafft über die Entstehung von Öffentlichkeit die Voraussetzung für die bürgerliche Gesellschaft mit Nationalstaat und kapitalistischer Produktionsweise. Zwar kann mit einer ketzerischen argumentativen Verkürzung gesagt werden, dass es erst Klassen brauchte, bevor an die Etablierung von Kapitalismus gedacht werden kann, aber die chronologische Hierarchie sollte hier nicht im Vordergrund stehen. Das hieße, angesichts sehr kurzer historischer Zeiträume von einigen Jahrhunderten die Frage falsch stellen. Eher muss das Moderne Ensemble als etwas Prozessierendes betrachtet werden, dessen Bestandteile und Wesensmerkmale in verschiedener Gewichtung vorzufinden sind, je nach Zeit und Raum. Dazu kommt noch, dass chronologische Abfolgen kein Argument gegen eine logische Gleichzeitigkeit sein können.
            Andererseits ist die Beschleunigung der gesellschaftlichen Entwicklung ein Wesensmerkmal der bürgerlichen Gesellschaft. Allerdings ist diese Beschleunigung an technische Entwicklungen gebunden, die die vereinzelten bürgerlichen Subjekte in einen Strudel zu reißen scheinen, der ihnen ihre Subjektivität immer mehr in Frage stellt. Vor allem sieht es so aus, als würden unkontrollierbare, „natürliche“ Gesetzmäßigkeiten dafür sorgen, dass der subjektive Zugriff und Eingriff nicht mehr oder in immer geringerem Maße möglich ist.
            Diese Gesetzmäßigkeiten sind aber keineswegs vorgegeben, wenigstens nicht „von Natur aus“, sondern zwar nicht geplant und erdacht, aber doch von Menschenhand geschaffen. Zu diesen Produkten ihres Handelns verhalten sich die Leute nun so, als würden sie ihnen von außerhalben entgegentreten und mit ihnen Kommunikationen aufnehmen und entsprechendes Verhalten verlangen, so wie dies ein Wetter tut oder ein Tier. Indem also die Leute die Produkte ihres Handelns – mit ihrem Handeln zusammen übrigens – an die „Natur“ zurückgeben, begeben sie sich der Allmacht, die sie als Subjekte sich arrogiert haben. So hat das Subjekt in fetischistischer Verblendung eine Sicherheit für die Gesellschaft eingezogen, dass sie so schnell nicht zerstört werde, da sie ja von der Natur sanktioniert sei. Gleichzeitig damit ist auch eine Schranke gezogen für die Emanzipation von Subjekten nichteuropäischer, männlicher Provenienz und von Frauen.
            Diese Schranke aber führt zur Gewalt, von der wir am Anfang ausgegangen sind. Die Subjekte haben sich entwaffnet und ihre personale Gewalt an die verallgemeinerte Repressionsinstanz Staat übertragen. Der Staat (die Nationalstaaten der bürgerlichen, westeuropäischen, nordamerikanischen, japanischen Moderne) garantieren nun den Subjekten mit militärischen Mitteln, dass sie ihre Reproduktionsbedingungen überall vorfinden, ohne gleichzeitig allzu großer Konkurrenz gewärtig zu sein. So garantiert die Gewalt eine für subjektive Unternehmungen zugerichtete Welt unter gleichzeitigem Ausschluss eines großen Teils der Menschheit von Subjektivität und Emanzipation. Wie weit dieser Ausschluss nicht auch seine positiven Seiten hat, ist Frage der Diskussion. Sicher kann aber nicht die eine Rückständigkeit gegen die andere Barbarei in s Treffen geführt, der Rückgriff auf religiöse Sicherheiten als Heilmittel einer an ihren Widersprüchen leidenden und zu Grunde gehenden Moderne angeboten werden.

1 In der Folge einige Beispiele dafür, wie Subjekte damit umgehen, dass sie Regeln erstellen müssen. Wenn sie die Tauschbörse "soulseek" im Internet benützen, stimmen sie schon diesem einerseits a priori vorgegebenen, andererseits selbst erstellten Regelwerk zu; sowohl dessen Existenz als auch dessen Gebrauch – und in Existenz und Gebrauch finden wir wieder die Begriffsverdopplung der Moderne vor in Objektivität und Subjektivität.
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