Kleiner Nachschlag zu einer exemplarischen Affäre
Der Freiherr Karl Theodor zu Guttenberg ist durch ein zeitgemäßes Verhalten aufgefallen. Die Überraschung darf umso mehr eine angenehme genannt werden, als ihm von übel wollender Seite nachgesagt worden war, er leide an anachronistischen und krankhaften Geisteszuständen wie intellektueller Redlichkeit, unabhängigem Denken oder zuverlässiger Sorgfalt. Von etlichen Kulturkonservativen soll ihm sogar Originalität unterstellt worden sein. Alle diese Verleumdungen haben sich als haltlos erwiesen. Als joggender und surfender Medienkompetenzler unter Vierzig ist der Adelsspross Fleisch vom Fleische der Generation Facebook. Copy and Paste gilt ihm nicht als Schamlosigkeit (was ist das?), sondern als Cleverness; nichts Postmodernes ist ihm fremd. Warum soll man noch irgendetwas selber denken, wenn man ohnehin immer schon patentierter Queer- und Selberdenker ist? So konnte es diesem Sympathieträger des Zeitgeistes auf beispielhafte Weise gelingen, die Ideen, die er nicht hatte, auch nicht mit eigenen Worten auszudrücken. Das kann ihm keiner mehr nehmen.
Alle, die das postmoderne Theorem vom „Tod des Autors“ von wem auch immer abgeschrieben haben, wussten mit Grandezza ihren Namen darüber zu setzen. Diese feine Ironie hat auch der Freiherr sofort verstanden. In Zeiten der Individualisierung verschwinden der Autor und die Autorin nicht etwa, um einem anonymen Kollektiv der geistigen Fabrikproduktion Platz zu machen. Bloß die Namen wechseln wie die Türschilder im Plattenbau. Was stirbt, ist der Ursprungsmythos, dass da tatsächlich mal jemand etwas gedacht und erfunden, recherchiert, entwickelt und ausformuliert hätte, das man zitieren müsste. Texte sind einfach da wie das Weltall. Oder wie die Äpfel am Baum, die man nur zu pflücken braucht. Besser und weniger naturalistisch gesagt: Die Welt ist sowieso ein einziger großer Text in Form eines virtuellen Selbstbedienungs-Supermarkts, in den man sich einloggen darf, wenn man zufällig Lust auf Reputation hat.
Jeder Gedanke ist doch schon mal da gewesen und im postmodernen Nirwana abgespeichert. Man muss sich nur den technischen Zugriff verschaffen. Deshalb wird das gewohnheitsmäßige Reduplizieren auch nicht in den entlegenen Textregionen der Neuen Zürcher oder der Frankfurter Allgemeinen Zeitung stehen bleiben, sondern die zentralen Schatzkammern des Abendlands, des Orients und überhaupt sämtlicher intelligiblen Welten hacken. Der Freiherr gehört zu den Vorläufern eines weit höher stehenden Second-hand-Denkens, als er es selber an den Tag legen konnte. Nehmen wir als einfaches Beispiel den Lehrsatz des sogenannten Pythagoras. Dieser Ursprungsmythos wird geknackt, wenn der bislang noch verkannte 23-Jährige Emil Backe den Satz in einer Hausarbeit für die Universität Köln aufstellt und seinen Namen darüber setzt. Natürlich kann auch der Lehrsatz des Backe keinen langen Originalitätsbestand haben, aber darauf kommt es ja gar nicht an. Der postmoderne Zeithorizont wird sowieso immer kürzer. Das gilt auch dann, wenn der inzwischen schon 25-Jährige Backe den „Faust“ präsentiert, den er in mühevoller Kleinarbeit heruntergeladen hat. Für eine Viertelstunde wird das in der Community als sein bislang reifstes Werk besprochen, und mehr kann man sich wirklich nicht wünschen.
Womöglich behauptet nun irgendein Ewiggestriger, auf diese Weise käme nichts Neues mehr zustande und irgendwann müsste den menschlichen Kopierautomaten der Stoff ausgehen. Wer so denkt, kennt das Remix-Verfahren nicht. Es geht ja keineswegs bloß um die repetitive und serielle Aneignung einzelner Werke, sondern mehr noch um die Kombination von möglichst verschiedenen Textbausteinen. Darin besteht die eigentliche Kreativität der Originalfälschung. Und auch dafür gibt die Dissertation des Freiherrn ein Beispiel, obwohl sie in diesem Sinne noch nicht ganz klassisch genannt werden kann. Denkbar wäre etwa ein Remix aus Shakespeares „Wie es euch gefällt“, Aufsätzen von Kurt Gödel und der Autobiographie von Oliver Kahn; neu konfiguriert als Alterswerk von Emil Backe, das er mit 29 Jahren bloggt. Die Vielfalt der Remix-Möglichkeiten ist nahezu unbegrenzt. So wird endlich jeder ein Promi und über das Kopierwerk hinaus zum Gegenstand seiner eigenen elektronischen Yellow Press, indem er jeden Tag huldvoll interessante Mitteilungen über die Zusammensetzung seines Abendessens twittert.
Im Grunde könnte der kopierte Geisteszustand vollständig automatisiert werden. Warum soll man noch selber downloaden und remixen, wenn es der Rechner auf Zuruf schon viel besser kann? Der Unterschied ist ein quantitativer, kein qualitativer. Es geht ja nur um die Geschwindigkeit, mit der die ars combinatoria zu vollziehen ist. Im Denkstübchen ist nirgendwo einer zuhause, weder bei den intelligenten Robots noch bei ihren Herrchen. Wer braucht heute noch ein Ich, wo doch alle schon längst individualisiert sind? Eine einzige eigene Basisqualifikation freilich bleibt unverzichtbar: Das kopieren lassende Subjekt sollte weiterhin seinen Namen schreiben können. Drei Kreuze einzugeben, wäre nicht individuell genug. Soviel Alphabetisierung muss sein, sogar im postmodernen Copy-Shop. Der Freiherr zum Beispiel konnte ganz eindeutig seinen Namen buchstabieren, sonst stünde der nicht auf dem Titelblatt der Dissertation. Damit hätte er auch in die Wirtschaft gehen können. Oder in die Kernphysik. Dass er die Jurisprudenz vorgezogen hat, deutet allerdings auf eine gewisse Engführung hin. Die Zukunft wird den individuellen Universalkopierer bringen, vor dem die Universalgenies der Renaissance erblassen müssten.
Ganz überflüssig also die künstliche Aufregung von abgelebten Kultursenioren, die in alledem eine Dekadenz des entqualifizierten Geistesbetriebs erkennen wollen. Da sind die dynamischen Avantgardisten an der Basis anderer Meinung: „Wir sollten mit solchen Urteilen und tiefer Empörung…vorsichtig sein, denn das Kopieren, Abschreiben, Mit-falschen-Federn-Schmücken im kleinen Stil ist unser aller täglich Geschäft“. Wer sich das aus dem Weltall der Texte herunterkopiert hat? Niemand anders als die Leiterin des Ressorts „Namen & Karriere“ im „Handelsblatt“, die ebenfalls berufsbedingt ihren Namen schreiben kann. Sie weiß, wo der Bartel den Most holt; und deshalb schmückt sie sich nicht mit fremden, sondern mit falschen Federn. Echte gibt es ja keine mehr. So verhält es sich eben mit dem Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, wie es Emil Backe einmal in seiner nachahmlichen Art ausgedrückt hat, als er gerade einen besonders guten Kopiertag im etwas größeren Stil erwischt hatte.
Dass der Freiherr trotz seiner enormen und aufopferungsvoll gepflegten Kopierfähigkeiten nicht mehr den Job des Verteidigungsministers ausüben kann, der ihm auf den Leib geschneidert war wie jede andere wissenschaftlich anspruchsvolle Tätigkeit auch, macht ihn zum Helden und zum Märtyrer der postmodernen ideellen Gesamtbefindlichkeit. Da die dekonstruktivistische Linke an der Spitze des digitalen Fortschritts marschiert, sollte sie im oberfränkischen Kleinadel die verwandte Copy-Seele erkennen. Umso befremdlicher mutet es an, wenn einige Vertreter der Freien-Software- und Freien-Kultur-Bewegung auf Distanz zu gehen versuchen. So hätten sie es nicht gemeint. Verwunderlich nur, dass es solchen Einspruch nie gab, wenn im alternativen Blätterwäldchen ihres eigenen Milieus das „lustvolle Abschreiben“ zum emanzipatorischen Akt erklärt wurde. Wenigstens der „Gegenstandpunkt“ weiß es zu würdigen, dass der Freiherr sich erfreulich wenig proprietär verhalten hat. Aus einem Marxschen Text kann diese Stellungnahme nicht abkopiert worden sein. Aber vielleicht ist endlich auch bei den ältesten neuen Linken die Vielfalt eingekehrt.
Überhaupt kann die linkspostmoderne Szene am adeligen gelernten Windbeutel studieren, worin das Geheimnis jenes Zustands besteht, den sie immer ersehnt, aber nie erreicht hat: nämlich populär zu sein und vom Volk geliebt zu werden. Der Freiherr galt bei den Menschen im Lande als pfundig; nicht weil, sondern obwohl er sich als begrifflich denkendes Wesen präsentierte. Die Helden des Alltagsverstands haben jedoch ein feines Gespür dafür, wenn sich hinter einer abartigen Schale ein guter Kern verbirgt. So hat die vermeintliche Enttarnung nur einen letzten Makel abgewaschen, indem bewiesen wurde, was immer schon zu ahnen war: Er ist ja gar kein Intellektueller! Er hat das ganze abgehobene Zeug bloß kopiert, ohne sich viel dabei zu denken. Seitdem wird er gerade deswegen doppelt und dreifach geliebt, egal was er sonst noch publizieren mag; und seien es die „Grundrisse“ oder „Finnegans wake“. Der postmoderne Stammtisch darf sich sagen: Trotzdem ist er einer von uns. Dass er seinen Namen schreiben kann, ist für sich genommen noch nicht ehrenrührig. Das können wir als normale Menschen schließlich auch, wenn wir uns ein wenig anstrengen. Die Post-Linke sollte den Freiherrn nicht nur aus sachlichen, sondern auch aus propagandistischen Gründen zu ihrem Ehrenmitglied ernennen; vielleicht fällt dann ein wenig von seinem Charisma auf sie ab.
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