Er spukt also wieder in den Hirnen, und er war auch nie ganz draußen. Gemeint ist der Mehrwert, jene Größe, um die es eigentlich gehen soll. Unsere Aufgabe besteht nun darin, die Mehrwertkritik in ihre Schranken zu weisen, sie bloß als das gelten zu lassen,was sie ist, ein integrierter Bestandteil der Wertkritik, nicht ihre Gegensetzung.Wird sie als diese verstanden und gar zum Zentrum der Gesellschaftskritik aufgeblasen, dann ist sie als eine Form verkürzter Kapitalismuskritik zu interpretieren, deren Implikationen alles andere als unproblematisch sind.
Mit Alfred Sohn-Rethel betrachten wir den Zusammenhang von Wert und Mehrwert wie folgt: “Denn damit die Produktion Mehrwert erzeuge,wird offenbar vorausgesetzt, dass die Produkte die Wertform haben, und das eigentliche Problem des Mehrwerts liegt daher nicht in der Produktion, sondern in dieser Wertform der Produkte. Nur weil der Produktion im Kapitalismus das Wertgesetz auferlegt ist, macht die Seinswirklichkeit der Produktion sich gerade gegen die Wertform durch den Widerspruch des Mehrwerts geltend. Was wir daher allein überhaupt analysieren können, ist immer nur die Wertform und ihr Ursprung.” (Soziologische Theorie der Erkenntnis (1936), Frankfurt am Main 1985,S. 110) Analytisch ist es nur so zu fassen: Nicht der Wert hat im Mehrwert ein äußeres Problem,sondern der Mehrwert ist zweifellos eine durch den Wert gesetzte Kategorie. Mehrwert ist bloß MehrWert; ein Komparativ ohne selbständigen Charakter und unabhängige Qualität. Ein Schlüssel zum Kapital mag im Mehrwert liegen,aber der Schlüssel zum Mehrwert liegt im Wert.
1.
Mehrwert kann ohne Wert nicht gedacht werden.Jener ist eine abgeleitete Größe,ein Aspekt desselben, nichts Eigenständiges, schon gar nicht das,was die kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse definiert. Der Mehrwert ist auch nichts,was den Wert verzerrt, sondern etwas, das diesen hinsichtlich der Vernutzung menschlicher Arbeitskraft zum Ausdruck bringt. Nicht der Wert der menschlichen Arbeit ist einzufordern – denn der Wert der menschlichen Arbeitskraft wird sowieso bezahlt -, sondern Verwertung als auch In-Wert-Setzung menschlicher Tätigkeiten sind kategorisch zu verwerfen.
Akkumulation meint “Kapitalisierung von Mehrwert” (MEW 24:326). Die Verwertung ist jener Prozess, in dem das konstante Kapital sich Mehrwert einsaugt,aus GG’ wird.Verwertung ist aber mehr und weniger als Mehrwert. Mehr meint jene,weil der gesamte Prozess der Akkumulation damit gekennzeichnet wird,weniger meint sie,weil nicht der gesamte Mehrwert verwertet wird, sondern nur der abzüglich des Konsums der Kapitaleigner. “Ein Teil des Mehrwerts wird vom Kapitalisten als Revenue verzehrt, ein anderer Teil als Kapital angewandt oder akkumuliert.” (MEW 23:617-618)
Die Kategorien Mehrwert und Verwertung dürfen nicht verwechselt werden, sie bedeuten jeweils Unterschiedliches. Letztere meint den Prozess der Kapitalbildung, ersterer den Zusatz,der diese ermöglicht.Zurecht schreibt Moishe Postone:”Marx analysiert den Verwertungsprozess – den Prozess der Schaffung von Mehrwert – als Prozess der Schaffung von Wert.” (Zeit,Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft.Eine neue Interpretation der kritischen Theorie von Marx, Freiburg 2003, S. 464)
Karl Marx bezeichnet daher den Wert als “automatisches Subjekt” (MEW 23: 169):”In der Tat aber wird der Wert hier das Subjekt eines Prozesses,worin er unter dem beständigen Wechsel der Formen von Geld und Ware seine Größe selbst verändert,sich als Mehrwert von sich selbst als ursprünglichem Wert abstößt, sich selbst verwertet. Denn die Bewegung,worin der Mehrwert zusetzt,ist seine eigne Bewegung,seine Verwertung also Selbstverwertung. Es hat die okkulte Qualität erhalten,Wert zu setzen, weil er Wert ist.” (Ebenda) Mehrwert ist nichts anderes als das Repellieren und Attrahieren des Werts selbst.Von sich, zu sich, aber immer aus sich. “Das Produkt der kapitalistischen Produktion ist nicht nur Mehrwert,es ist Kapital.Kapital ist,wie wir sahen, G-W-G’, sich selbst verwertender Wert,Wert, der Wert gebiert.” (Karl Marx, Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses, Archiv sozialistischer Literatur 17, Frankfurt am Main 1969, S. 84)
Ziel des Kapitals ist also die “Verwertung des Werts” (MEW 23:167), dass aus Wert mehr Wert (nicht:Mehrwert!) wird,G-W-G’. Der Mehrwert ist aber das Inkrement, das diese Verwertung ermöglicht,das garantiert, dass hinten mehr rauskommt als vorne reingesteckt wurde, dass der Kostpreis der Ware (c+v) geringer ist als der Wert der Ware (c+v+m). Der Mehrwert ist das Inkrement der Verwertung,aber m ist nicht G’,sondern lediglich Dv, das dafür sorgt, dass am Ende nicht bloß wieder G erscheint.Würde der Wert der Ware dem Kostpreis entsprechen, wäre überhaupt keine Akkumulation von Kapital möglich.”Die Formel G…G’ist also charakteristisch,einerseits,dass der Kapitalwert den Ausgangspunkt und der verwertete Kapitalwert den Rückkehrpunkt bildet, so dass der Vorschuss des Kapitalwerts als Mittel, der verwertete Kapitalwert als Zweck der ganzen Operation erscheint;andrerseits, dass dies Verhältnis in Geldform ausgedrückt ist,der selbständigen Wertform, daher das Geldkapital als Geld heckendes Geld.” (MEW 24:63)
Streifzüge 30/2004
von Franz Schandl
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