Opel wird zum Modellfall einer desolaten Widerspruchsbearbeitung
Mitten im Strudel der globalen Finanz- und Konjunkturkrise hat die marktwirtschaftliche Glaubensgemeinschaft die Pferde gewechselt. Der lange Zeit als bürokratisches Übel abqualifizierte Staat wurde überall mit gigantischen Finanzpaketen eingespannt, um den Karren des Kapitals ans rettende Ufer zu ziehen. Einerseits erkennt der kleinlaut gewordene Marktradikalismus damit an, dass der Staat schon immer ein integraler Bestandteil des gesellschaftlichen Systems ist und kein äußerlicher Störfaktor. Andererseits zeigt sich gerade deswegen, dass der Staat kein souveräner Retter sein kann, sondern selber von den inneren Widersprüchen der glorreichen Marktwirtschaft in Haft genommen wird. Die Staatsprogramme von kriegswirtschaftlichen Dimensionen haben das Problem mangelnder realer Kapitalverwertung nur vertagt und verlagert. Während die transnationale Finanzblasen-Ökonomie bis zum Crash zwei Jahrzehnte überdauerte, stoßen die nationalen Staatsfinanzen schon binnen Jahresfrist an Grenzen.
Nach den eigenen Maßstäben der Wirtschaftswissenschaft ist die Krise nur zu bewältigen, wenn zuvor eine umfassende Marktbereinigung stattfindet. Im Klartext: Auch große Konzerne müssen über die Klinge springen, um die Überkapazitäten abzubauen und dann angeblich neu durchstarten zu können. Im Finanzsektor galt der Bankrott von Lehman Brothers aber nicht als Marktbereinigung, sondern als größter anzunehmender Unfall und als Auslöser der Krise. Deshalb wurden nicht nur die übrigen großen Banken durch staatliche Finanzspritzen über Wasser gehalten, sondern auch Industriekonzerne. Exemplarisch stehen dafür General Motors in den USA und die Tochterfirma Opel in der BRD. Nach langem Gezerre um Staatshilfen blieb Opel zwar bei GM, aber das Problem ist nicht vom Tisch. Gerade im Automobilsektor lebt der zaghafte Konjunkturfrühling fast ausschließlich von den Staatsprogrammen. Offenbar gibt es wenig Zutrauen in die autonomen Marktkräfte, wenn jetzt erneut Staatshilfen für die GM-Tochter zur Debatte stehen.
Opel wird zum Modellfall einer desolaten staatlichen Widerspruchsbearbeitung. Bund und Länder handeln sich nämlich mit einer Stütze für den immer noch auf schwachen Beinen stehenden Autobauer nach Kriterien des Marktes eine Wettbewerbsverzerrung ein. Das gilt für die ausländischen Konkurrenten ebenso wie für die anderen deutschen Autokonzerne und ihre europäischen Töchter. Dass darüber wenig zu hören ist, hat einen einfachen Grund. Wenn der europäische Absatz nach dem Auslaufen der Konjunkturprogramme einbricht, werden alle Autokonzerne bei ihren Staaten auf der Matte stehen und auf Opel bzw. GM verweisen. Es wäre das Eingeständnis, dass die vemeintliche Anschubhilfe versagt hat und vom Staat ein langfristiges Sponsoring für zentrale industrielle Bereiche verlangt wird.
Verschoben ist nicht aufgehoben. Da sich an dem zu Grunde liegenden Problem der Defizitkonjunktur durch die Verlagerung auf den Staat nichts geändert hat, steht die Marktbereinigung nach wie vor aus. Diese Konsequenz weiterhin aufhalten zu wollen, läuft angesichts der bereits überstrapazierten Staatsfinanzen auf die Quadratur des Kreises hinaus. Dabei haben sich die viel beschworenen geld- und wirtschaftspolitischen Fronten zwischen den USA und der EU ins Gegenteil verkehrt. Der ehemalige Vorreiter des Marktradikalismus subventioniert seine Wackelkandidaten hemmungslos und ist offenbar bereit, perspektivisch einen inflationären Schub in Kauf zu nehmen; vielleicht im Vertrauen darauf, dass es zum Dollar als Weltgeld keine Alternative gibt. Umgekehrt erlebt die zeitweise wieder zu Ehren gekommene europäische Staatsgläubigkeit ihr Waterloo, weil das widersprüchliche Konstrukt der Währungsunion die Krise der Staatsfinanzen zuerst in diesem Raum manifest gemacht hat. Deshalb ist eine krisenkeynesianische Flucht nach vorn wie in den USA unmöglich geworden. Zwar wird auch dort die staatsfinanzierte Dauerfütterung der Konjunktur ihr Ende finden, aber der europäische Fluchtweg verläuft schon jetzt in die entgegengesetzte Richtung.
Die Verordnung drastischer Sparprogramme für die Euro-Staaten, wie sie auch in der BRD angesteuert wird, steht natürlich in krassem Widerspruch zur Option neuerlicher Rettungspakete. Für die Regierungen tut sich eine Zwickmühle auf. Entweder sie retten alle oder keinen. Warum soll ausgerechnet Opel subventioniert werden, wenn allenthalben die Streichung von Subventionen auf der Agenda steht? Mehr noch: Der staatliche Sparkurs ebenso wie mögliche Steuererhöhungen (oder beides zusammen) sind es gerade, die umso schneller die seit 2008 staatlich gepäppelte schwache Konjunktur im gesamten Euro-Raum abzuwürgen drohen. Das wird abermals vor allem die Autoindustrie treffen, nicht zuletzt die deutschen Exporte in die EU. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, Opel mit Ausnahmegenehmigung zu retten und gleichzeitig dem nächsten konjunkturellen Einbruch auszuliefern. Das Schielen auf den demoskopischen Wählerwillen kann die Logik der Krise nicht aushebeln. Die berühmte Marktbereinigung wird sich auch dann durchsetzen, wenn man davon nichts mehr wissen will, weil eben kein selbsttragender Aufschwung in Sicht ist. Kapitalismus geht nicht ohne Staat, aber mit Staat allein auch nicht.
Robert Kurz
http://www.exit-online.org erschienen in der Print-Ausgabe der Wochenzeitung „Freitag“ am 03.06.2010 |
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